: Die schweren Tage - Folge 2: "Zeit, die Party zu eröffnen"
Montag, 26. Juli
„Rumms, dann hat's geschnackelt“ heißt ein „todsicherer“ Stimmungsmacher im deutschen soldatischen Liedgut des Jahres 1943. Ähnlich subtil kündigt Pilot Officer Shipway am 25. Juli, exakt um 0.57 Uhr, sechs Kilometer über der Nicolai-Kirche der Besatzung seines Bombers den Angriffsbeginn an: „Zeit, daß irgendjemand diese Party eröffnet.“ Eine Stunde später sind 1.500 Hamburger tot und Shipway ist um einen Orden schwerer.
2.284 Tonnen Bomben fallen allein in dieser Nacht. Ihre Spur durch das Hamburg der Gegenwart beginnt mit dem aluminiumglänzenden Hochhaus der Allianz an der Börsenbrücke, führt an den freigestanzten Baulücken zwischen den Häusern der Hafenstraße entlang, biegt über die typischen, noch heute nur provisorisch geflickten „Bombenecken“ in Altona und Ottensen zu den Grindelhochhäusern und endet im Zebrahaus von Hagenbecks Tierpark.
Als wollte die Royal Air Force das Inferno auch noch schmücken, bedecken tonnenweise abgeworfene Stanniolstreifen die getroffenen Stadtteile wie überdimensioniertes Lametta. Was vielen Hamburgern im ersten Schock als zusätzliche Perfidie erscheint, stellt sich schnell als simpler Trick zur Blendung der deutschen Radargeräte heraus. Zum ersten Mal angewendet, ermöglicht er den Bombern bei nur geringen Verlusten einen fast störungsfreien Zielanflug. Bald toben die Kinder darin herum, behängt wie die Weihnachtsbäume.
Für den Einsatz der „Geheimwaffe“ war die ausdrückliche Erlaubnis von Premierminister Winston Churchill erforderlich. Es mußte schon ein „lohnendes“ Ziel sein, für das die Royal Air Force den angstvoll gehüteten Trick mit der „Tarnkappe“ den Deutschen preisgab. Die deutsche Luftwaffe ihrerseits harrte seit fünfzehn Monaten vergeblich auf die Erlaubnis, sich mit den vertrackten Stanniolstreifen über England unsichtbar zu machen.
Stimmen aus einer typischen Bombennacht, wie sie auch Berliner, Londoner und Frankfurter kennen. In einem Bunker der Neustadt: „Ich saß eine ganze Weile allein, mit meinem Sohn beschäftigt, rings herum war alles so wie immer, wenn Fliegeralarm war.“ Luftschutzkeller in Altona: „Alles, was eine Frau gerettet hat, ist ihr Kanarienvogel in seinem Bauer.“ Winterhude: „Zu viert standen wir auf dem flachen Dach unseres Wohnblocks. Wir wollten die Eröffnung des Angriffs sehen.“
Feuerwehrtagebuch 03.29 Uhr: „Großbrände Schenkendorffstraße, Schillerstraße, Kanalstraße, Zimmerstraße und Reeperbahn.“ Auf dem Großneumarkt: „Viele rannten die Leiter hinauf, um die Frau aus dem Fenster zu retten. Die Hitze war zu gewaltig. Ich sah noch, wie die Frau mit irren Augen herunterschaute, zurückfiel und unter den Flammen den Tod fand.“
Bis zu dieser Nacht ist Hamburg vergleichsweise glimpflich davongekommen. „Onkel Baldrians“ Kommentare zur „Luftlage“ über den Reichssender Hamburg gelten vielen als gutes Omen. Staatssekretär Georg Ahrens beruhigende Stimme spricht bei Angriffen die Nachrichten aus dem Bunker des NS-Gauleiters Kaufmann in dessen Garten in der Milchstraße: „Nur“ 113 Feuer während des Angriffs am hundersten Jahrestag des Großen Brandes von 1842, drei Monate später „nur“ 403 Tote und 14.000 „Ausgebombte“. Und am 3./4. März 1943 kam durch einen Ortungsfehler der Bomber „der ganze Segen“ schon über der Stadt Wedel herunter.
In den brennenden Stadtvierteln, nördlich der Elbe fast unbemerkt, bombardieren am Sonntag und Montag zwei amerikanische Verbände den Hafen. Von der Royal Air Force skeptisch belächelt, hat sich die US-Luftwaffe darauf versteift, ausgewählte Industrieziele bei Tage zu vernichten. Nicht mit allzu großem Erfolg. Die kilometerhohen Rauchwolken der „englischen“ Brände machen „dem Ami“ genaues Zielen unmöglich. Zum ersten Mal aber haben Briten und Amerikaner versucht, eine Stadt bei Tag und Nacht, „round the clock“ zu anzugreifen – Dresden liegt nur noch achtzehn Monate in der Zukunft.
Dieses Joint Venture und die erfolgreiche Premiere der Stanniolstreifen allein würden den 1.500 Toten Hamburgs vermutlich nur eine Fußnote in der Geschichte des II. Weltkriegs einbringen. Auf einen Spitzenplatz auf der nach oben offenen Skala des Kriegsgrauens führt die Stadt ein unscheinbares Dokument, verfaßt vom Befehlshaber des Bomberkommandos, Arthur Harris. Einsatzbefehl Nr. 173 Absatz 2 führt lapidar aus: „Die ,Schlacht um Hamburg' kann nicht in einer einzigen Nacht gewonnen werden. Schätzungsweise wird es erforderlich sein, mindestens 10.000 Tonnen Bomben abzuwerfen, um den Prozeß der Auslöschung zu vollenden. Um die maximale Wirkung des Luftbombardements zu erzielen, muß diese Stadt fortgesetzten Angriffen ausgesetzt werden.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen