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"Nicht zur Tagesordnung übergehen"

■ betr.: "Wo bleiben die Haftbefehle?", von Horst Meier, taz vom 15.7.93

betr.: „Wo bleiben die Haftbefehle?“ von Horst Meier,

taz vom 15.7.93

Meiers nüchterne Analyse hätte ich mir in einem jener Blätter zu lesen gewünscht, die sich, solange es gegen Demonstranten, Blockierer, Totalverweigerer etc. geht, „Recht und Ordnung“ verschreiben und sich dabei allzu oft verschrieben haben.

Gerade der Leserschaft von FAZ und Welt müßte die Dimension dessen klargemacht werden, was da seit zwei Wochen im Gange ist: die Wirklichkeit hat die, jedenfalls bei der interessierten Öffentlichkeit als selbstverständliches Allgemeingut angesehene Überzeugung, die Exekutive werde – hierarchisch geordnet – von oben nach unten kontrolliert und sei insgesamt der Kontrolle durch Parlament und Justiz unterworfen, überholt.

Während bei gleichem Ermittlungsstand in jedem „normalen“ Verfahren die sechs Tatverdächtigen spätestens nach Vorliegen der ersten Zeugenaussagen in sechs verschiedenen Zellen isoliert untergebracht und dann solange vernommen worden wären, bis sich der Verdacht in eine Richtung verdichtet hätte, geschah nichts. Die Staatsanwaltschaft Schwerin war und ist überfordert, das BKA mauerte und vertuschte womöglich, statt pflichtgemäß Amtshilfe zu leisten, die Aufklärung des Sachverhalts, geschweige denn die Ermittlung des (möglichen) Täters, der, wenn es ihn gibt, ein Mörder in Uniform wäre, wurde von Tag zu Tag unwahrscheinlicher und ist inzwischen kaum noch zu erwarten.

Was jetzt noch mit einem einigermaßen sachgerechten Ermittlungsaufwand aufzuklären wäre, ist, ob und inwieweit sich die anderen, auf die Verfassung vereidigten Beamten – vom Einsatzleiter über den Präsidenten des BKA bis hin zur Bundesanwaltschaft – einer Dienstpflichtverletzung bzw. einer Strafvereitelung im Amt schuldig gemacht haben.

Auf der politischen Seite helfen Rücktritte, mit denen neuerdings immer alles erledigt sein soll, nicht weiter. „Nicht zur Tagesordnung übergehen“ (RAF) wäre gerade für die Regierungskoalition die richtige Strategie angesichts des Machtverlusts, der mit der leider nur internen Verlagerung des (Herrschafts-)Wissens von oben nach unten einhergeht. Von der dilettantisch operierenden Opposition wäre dagegen zu erwarten, daß sie zur rechten Zeit im Parlament die Schwächen des unter Schmidt/Genscher aufgeblähten Systems thematisiert: Verselbständigung der „Dienste“, Ausschaltung von Öffentlichkeit bis hin zur parlamentarischen Kontrolle, Parteibuch-Personalpolitik mit der Folge einer einseitigen Fixierung auf die „Bedrohung von links“, die Entwicklung von Korpsgeist, Behördenfilz etc. pp.

Während der breiten Öffentlichkeit nach ein paar Tagen angesichts der zahlreichen unmittelbar spürbaren politischen und ökonomischen Desaster bald egal sein wird, was „damals in Bad Kleinen“ eigentlich los war, darf die vielbeschworene „Mitte“ und dürfen die Medien nicht ruhen, bis die nötigen Konsequenzen gezogen werden, sonst droht ein schleichender Staatsstreich. Martin Menges, Rechtsanwalt

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