■ Der bosnische Präsident reist zu Verhandlungen nach Genf
: Genötigt und erpreßt

Von den bosnischen Serben und Kroaten vor allem mit der Offensive auf Sarajevo unter massiven militärischen Druck gesetzt, von der EG und der UNO politisch genötigt und erpreßt, ist der bosnische Präsident eingeknickt. Alija Izetbegović ist gestern zu Verhandlungen nach Genf gereist – möglicherweise zum letztenmal. Nach dem Willen der beiden „Vermittler“ von EG und UNO soll er nun zu Kreuze kriechen und seine Unterschrift unter das serbisch-kroatische Dreiteilungsdiktat setzen.

Auch in Washington, Moskau, Bonn und in den anderen EG-Hauptstädten wird zunehmend ungeduldig darauf gewartet, daß sich Izetbegović endlich den sogenannten „Realitäten“ unterwirft. Die Regierung in London, deren Interessen seit Beginn der Verhandlungen vor elf Monaten durch den offiziell als EG-Vermittler auftretenden David Owen bestens vertreten wurden, macht aus dieser Haltung überhaupt kein Hehl. In Bonn wird dieselbe Haltung ab und an noch durch hohle Lippenbekenntnisse des Kanzlers und des Außenministers zugunsten der bosnischen Muslime kaschiert. Wenn Izetbegović dann schließlich das Todesurteil für Bosnien-Herzegowina unterschrieben hat, wird es überall scheinheilig und voller Erleichterung heißen, die drei Kriegsparteien hätten sich ja schließlich selber auf die Teilung ihres Landes geeinigt und damit auch die „ethnischen Säuberungen“ und die gewaltsamen Gebietseroberungen der vergangenen sechzehn Monate sanktioniert.

Doch das Kalkül, man könne das neben Bau und Fall der Berliner Mauer gravierendste europäische Ereignis seit 1945 einfach abhaken und danach wieder zur EG-Tagesordnung zurückkehren, wird nicht aufgehen. Der Untergang des multiethnischen Bosnien- Herzegowina und das Sterben einiger hunderttausend, zumeist muslimischer Menschen wird Konsequenzen nach sich ziehen. Spätestens mit der Zustimmung EG-Europas zur Zerstörung der Dreivölkerrepublik stirbt auch die europäische Idee. In Bonn und den anderen EG-Hauptstädten gibt es keine internationalen Konzeptionen, geschweige denn Visionen. Die so bezeichnete Außenpolitik besteht vor allem aus opportunistischer Verfolgung zunehmend enger definierter nationalstaatlicher Interessen. Das alles weist darauf hin, daß die gesamteuropäische Dimension der bosnischen Tragödie bisher nicht wirklich begriffen worden ist. Andreas Zumach, Genf