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Unbezahlte Feiertage statt Karenztag?

■ FDP will für die Pflegeversicherung zwei Feiertage streichen / DGB-Gutachten: Karenztage verfassungswidrig

Düsseldorf/Bonn (dpa/taz) – Die Einführung von Karenztagen zur Finanzierung der Pflegeversicherung wird immer unwahrscheinlicher. Die FDP ist bereit, auf die Streichung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zu verzichten, wenn statt dessen zwei Feiertage gestrichen werden. Der FDP-Fraktionsvorsitzende Hermann Otto Solms erklärte, die Ministerpräsidenten der 16 Bundesländer müßten sich an einen Tisch setzen und gemeinsam festlegen, an welchen Feiertagen künftig bundesweit gearbeitet werden soll. Da die Bundesländer für die Feiertagsregelung zuständig sind, sei eine Einigung der Ministerpräsidenten die einzige Möglichkeit, ohne Karenztage auszukommen.

Am Wochenende hatte allerdings der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber erklärt, mit Bayern werde es keine Streichung von Feiertagen geben. Er hält er die Karenztage wegen des Widerstandes von SPD und Gewerkschaften jedoch für „politisch nicht durchsetzbar.“

Der CSU-Politiker brachte daher eine neue Variante ins Spiel, wie die Arbeitgeber für ihren Beitrag zur Pflegeversicherung entschädigt werden können und zugleich dem Katholizismus genüge getan wird: unbezahlt beten! Das heißt, die Lohnfortzahlung soll an zwei Feiertagen entfallen oder die beiden Feiertage werden auf den Urlaub angerechnet.

Der Hamburger Arbeitsrechtler Ulrich Zachert ist in einem Gutachten für den DGB zu dem Ergebnis gekommen, daß die Karenztage verfassungswidrig sind. Wenn damit die Pflegeversicherung finanziert werden solle, sei dies ein unzulässiger Eingriff in die grundgesetzlich geschützte Tarifautonomie. Eine Einschränkung der Koalitionsfreiheit der Tarifpartner nach Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes sei nur gerechtfertigt, wenn es um Grundrechte Dritter oder um andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechte ginge. Der Eingriff des Gesetzgebers in die Tarifautonomie sei danach nicht durch sachliche Gründe, öffentliches Interesse oder gar fiskalische Gesichtspunkte gerechtfertigt. Die Einführung von Karenztagen verstoße außerdem gegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit.

Die Pläne der Bundesregierung seien weder geeignet noch erforderlich, um das angestrebte Ziel, nämlich eine gesetzliche Pflegeversicherung, zu erreichen. Es bestehe die Gefahr, daß kleinere Infekte verschleppt werden und die Krankenkassen letztlich höher belastet würden. Darüber hinaus machten Kurzzeiterkrankungen nur rund sieben Prozent der Arbeitsunfähigkeitsmeldungen aus.

Im Gutachten heißt es weiter, es könne auch nicht auf die Entscheidung des Bundesarbeitgerichts von 1959 zum Arbeiterkrankheitsgesetz verwiesen werden. Damals sei es gerechtfertigt gewesen, vorangegangene Tarifregelungen für unwirksam zu erklären, um erstmals eine gesetzliche Grundlage für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zu schaffen. Im Gegensatz zu damals ginge es jetzt darum, aus fiskalischen Erwägungen in tariflich festgelegte Schutzstandards einzugreifen.

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