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Hingucker

■ Nikolai-Kirche: „Ecce Homo“ des Hamburger Künstlers H.D. Rühmann

Ein Mann auf den Kopf gestellt, auf fünfzig Meter Länge vergrößert, am Kirchturm aufgehängt und dann noch nackt - spätestens beim letzten Punkt wurde dieses Kunstprojekt schon im Vorfeld für viele unerträglich. In den Rahmen des Gedenkens an den tausendfachen Bombentod vor fünfzig Jahren passen Kränze und Fotoausstellungen, ein monumentales Objekt dieser Art mitten in der Innenstadt erschien unerlaubt. Der Hamburger Künstler H.D.Rühmann, einst als „erster Artonaut im deutschen All“ eine Woche in einem über der Kunsthalle schwebenden Container eingeschlossen, setzt mit dem Ecce homo betitelten Projekt an der alten Nicolaikirche ein unübersehbares Zeichen der Humanität.

Nach mehr als dreijähriger Vorbereitungszeit mit einem Aufwand von 180.000 Mark gegen unzählige Widerstände realisiert, repräsentiert das Riesenbild des ideal-nackten Adam vor der Kirchturmruine in umgekehrter Kreuzesform auf den Kopf geworfen die dramatische Verkehrtheit einer immer wieder zu tödlicher Menschenverachtung bereiten Welt. Obwohl der fast nackte, geschundene Mensch ein traditionelles Bild der christlichen Gottheit ist, stieß die Aktualisierung des kunstgeschichtlich nur zu gut bekannten Bildes des leidenden Jesus auf unerwartet hohes Unverständnis von Kirchengemeinde, Institutionen und privaten Förderkreisen rund um Nikolai.

Die Fürsprache einzelner, wie des kunstsinnigen Pastors Hartmut Winde von der Gnadenkirche, Georg Syamken von der Kunsthalle und des Senatsdirektors Plagemann, die Leistungen von zehn Sponsoren und der Jahrestag des Feuersturms machten das Projekt realisierbar. 60.000 Mark trägt die Kulturbehörde, nicht ohne zu erwähnen, daß der Senat für das Gesamtprojekt der Sicherung von St.Nikolai als Mahnmal an die 14 Millionen Mark ausgibt.

Ecce Homo - sehet den Menschen - gilt bei Rühmann einem aus 5012 Din-A3-Folien zusammengesetzten, sieben Tonnen schweren Abbild, das durch direktes Ablichten eines fünfzigjährigen Hamburger Arbeitslosen mit dem Fotokopierer entstanden ist. Die so gewonnenen schwarz-weißen Bilder hat der Künstler systematisch immer weiter vergrößert, bis die Blätter nur noch aus einer Milchstraße von aufgerissenen molekularen Punkten bestehen. So entsteht eine graphische Abstraktion, die ihr Vorbild kaum mehr ahnen läßt. Erst nach numerischer Zuordnung werden die einzeln gefaßten Kopien wieder zum überdimensionalen Menschenbild zusammengefügt und mittels einer Stahlseilkonstruktion von zwei Telekränen vor dem Turm aufgezogen. Der ist in seinen gotischen Formen selbst nur ein Rest einer Kopie, eines Marksteins der Neugotik, als erstes Großwerk von Sir George Gilbert Scott, einem der berühmsten englischen Architekten des 19. Jahrhunderts entworfen und unter der Leitung des englischen Ingenieurs William Lindley 1846-63 erbaut. Weniger als hundert Jahre später von englischen Bomben zerstört, bietet die schwarz gewordene Architekturkopie nun mit den Proportionen ihrer steingewordenen Weltordnung der desintegrierten und gestürzten Menschenkopie eine Wahrnehmungsfolie. Hajo Schiff

Aufziehen des Monumentalbildes am Donnerstag, 19.30 Uhr; Ulrich Wildgruber liest aus Büchners „Lenz“. Einführung: Georg Syamken von der Kunsthalle. Ecce Homo ist am 30. und 31. 7., 14-22 Uhr zu sehen

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