: Die schweren Tage - Teil 4: "Hamburg - Harwich - Hamburg"
■ Folge 5: Donnerstag, 29. Juli 1943 - Die glühende Trümmerwüste weist den Bombern den Weg
Nach drei Angriffen in vier Nächten - am Sonntag war nach Hamburg noch einmal Essen „dran gewesen“ - befahl der Kommandeur der Royal Air Force eine Pause. Auf 42 Flugplätzen in einem Bogen von Harwich über Norfolk bis hinauf nach Leeds verdösen die 5.600 Männer des Bomberkommandos den frühen Vormittag in ihren Nissenhütten. In den Kantinen wissen die Erfahrenen dann allerdings, daß es heute nacht wieder soweit sein wird: Tee, Porridge, Würstchen, keine Ballaststoffe – das „Einsatzfrühstück“.
Die meisten Flieger sind zwischen 19 und 24 Jahren alt, 1,70 bis 1,75 Meter groß, die Piloten sind auffallend häufig untersetzt. Die Vorschriften sehen nach dreißig Angriffen für Jeden eine sechsmonatige Zwangspause vor. Bei durchschnittlich 5 Prozent Verlusten pro Einsatz - das haben die Luftwaffenpsychologen herausgefunden - läßt die Nervenstärke der Flieger in der Regel ab dem neunzehnten Start zu wünschen übrig. Mit 55.000 Gefallenen gehört das Bomberkommando, so Rolf Hochhuth in seiner „Soldaten“-Tragödie, „zu den am gründlichsten dezimierten Waffengattungen des Krieges“.
Luftmarschall Arthur Harris, genannt „Butch“, ist seit 18 Monaten der unumstrittene Boss der „Bomberjungs“. „Er war das Hirn, und wir wurden auf die Deutschen losgelassen“, wird ein Flieger Jahre später ihr Verhältnis auf den Punkt bringen. Harris ist der unumstößlichen Überzeugung, den Krieg allein durch die Zerschlagung der deutschen Städte gewinnen zu können, ohne daß die Armee den Kontinent in einem blutigen Landfeldzug erobern muß.
Die meisten Männer glauben ihm, Nachdenklichere beruhigt der Gedanke, daß es jedenfalls nicht schaden könne, „die Deutschen ihre eigene Medizin schmecken zu lassen“. Einige Kommandeure ziehen es auf Einsatzbesprechungen allerdings vor, den Zielpunkt in einer Stadt als „Giftgasfabrik“ oder „Gestapo-Zentrale“ zu verkaufen. Eine billige Fiktion, denn das Kreuz bezeichnet immer nur grob die Mitte des jeweiligen Stadtplans.
An diesem Abend liegt das Fadenkreuz zum dritten Mal über der Hamburger Innenstadt. Nach den Arbeitervierteln bei den ersten beiden Angriffen soll diesmal der gehobene Mittelstand von Rotherbaum bis Eppendorf vom „Bombenteppich“ überrollt werden.
Die Stadt steht noch unter dem Schock des „Feuersturms“. Von 300.000 Toten ist die Rede, nein, sogar eine halbe Million Leichen liege in den Trümmern. Aus der Massenflucht des Vortags entsteht allmählich eine Art geregelter Verkehr. Von den Großsammelstellen auf der Moorweide und auf den Rennbahnen in Horn und Farmsen pendeln Busse und LKWs nach Elmshorn, Oldesloe und Lüneburg. Angesichts des allgemeinen Zusammenbruchs funktioniert die Versorgung mit Milch, Brot und Kaffee durch Polizei, Armee und Volkswohlfahrt erstaunlich gut.
Wenn irgend transportfähig, werden die Verletzten, meist mehr oder minder schwer verbrannt, in die kleineren Krankenhäuser und Militärlazarette im Umland verlagert. Aber im Krankenhaus St. Georg, das der Feuersturm nur um ein paar Meter verfehlte, sind Ärzte und Schwestern immer noch hoffnungslos überlastet.
In dieser Nacht ist Hamburg leicht zu finden. Die rotglühende Trümmerwüste weist den Bombern über Dutzende von Kilometern hinweg den Weg zu ihren Zielen. Wie schon zwei Nächte zuvor versetzt auch diesmal der Seitenwind die Linie der fallenden Bomben. Von Rothenburgsort aus durchpflügen die Bomber noch einmal das „Feuersturm“-Gebiet und konzentrieren sich dann auf Eilbek, Uhlenhorst und Barmbek.
Wer die Stadt noch nicht verlassen hat, flüchtet sich angesichts der Schreckensbilder aus den Kellern von Hammerbrook in einen der großen überirdischen Luftschutzbunker. Barmbek brennt auf „konventionelle“ Art nieder, die Männer der Feuerwehr sind jenseits ihrer Kräfte. Die Anzahl der Toten und Verletzten bleibt relativ gering, in den Berichten werden sie nur noch pauschal den „Feuersturm“-Opfern zugeschlagen.
Nur an der Hamburger Straße wird genau Buch geführt. In einem Luftschutzkeller unter „Karstadt“ ersticken 370 Menschen, als die Luftschächte Kohlenmonoxyd von einem brennenden Kokslager auf dem Nachbargrundstück einsaugen. Helfer, die sich bemühen, die verschütteten Eingänge freizulegen, hören von der anderen Seite noch eine Zeit lang „Geräusche wie von kämpfenden Katzen“.
In der nächsten Nacht wird „Butch“ Harris die Stadt Remscheid von seiner Liste der „lohnenden Ziele“ bomben lassen. Erstmal muß über Hamburg der Rauch abziehen, bevor die Royal Air Force noch einmal „nachlegen“ kann.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen