: Überhöhte, heile Erinnerungen
■ Sommertheater: Pathetisches „Sarajevo“ enttäuschte
Nach Auschwitz Gedichte zu schreiben, befand einst Adorno, sei unmöglich. Und während des Krieges in Bosnien Theater zu machen, ein Stück über die eingekesselte Stadt Sarajewo aufzuführen, darf man das? Goran Stefanovski, Autor des Stückes Sarajevo, das am Mittwoch beim Sommertheater Premiere hatte, entschied sich dafür und entwarf ein Theater, das die durch die Medienberichte abgestumpften Zuschauer mit der „Seele“ der Stadt konfrontieren sollte.
Das Theaterprojekt wurde letztes Jahr von dem aus Sarajevo geflohenen serbisch-muslimischen Regisseur Haris Pasovic initiiert, der aber bereits Ende '92 zu seiner Familie nach Sarajewo zurückging und das Projekt verwaist zurückließ. Stefanovski und Regisseur Slobodan Unkovski führten es dennoch fort. Darsteller und künstlerisches Team kommen größtenteils aus dem ehemaligen Jugoslawien.
Man könnte erwarten, daß gerade sie ohne Peinlichkeit und Pathos vermitteln würden, wie tief der Krieg in das Leben der Menschen eingreift. Doch das Gegenteil geschieht: Das Stück stellt sich dar als eine Melange aus sentimentalen Erinnerungen, Zitaten aus einer überhöhten heilen Welt und den metaphorisch verarbeiteten Greueln der Realität, die fast anekdotenhaft dazugemengt werden.
Die Protagonistin Sara im unschuldig-weißen Kleinmädchenkostüm unternimmt eine Traum- Reise durch die phantasierte Stadt und ihre Geschichte. Sie begegnet lustigen und tragischen Gestalten, die die einstige Multikulturalität und den aktuellen Verfall der Stadt kontrastieren: Narren, Priester, Blauhelme, Hausfrauen, Sterbende. Doch diese Figuren werden weder entwickelt noch erklären sie sich von selbst, scheinbar willkürlich tauchen sie auf und verschwinden wieder, ohne einen tieferen Eindruck zu hinterlassen.
Die Inszenierung fängt die Schwächen des Stückes nicht auf. Revueartig, zum Teil mit Musikuntermalung, werden Szenen aneinandergereiht, zwischen denen der Zusammenhang selten deutlich wird. Zu oft werden Klischees bemüht, bleiben die Charaktere platt bis peinlich, wie der ausweichende Diplomat, der „beim Lunch“ über den Krieg „reden“ will. Bei Szenen wie der „Befragung“ des Prinzen Konstantin durch eine Krankenschwester (“Stimmt es, daß sie euch gezwungen haben, gegenseitig eure Genitalien in den Mund zu nehmen?“) werden die Schwächen der Darsteller besonders deutlich.
Allein die wenigen lapidaren Schilderungen aus der „Normalität“ des Kriegsalltag, wie die der Hausfrau, die trotz fehlender Wände Fenster putzt, sagen etwas eindrückliches. Auf diesem Weg hätte vielleicht eine Ahnung über die Abgründe des Krieges vermittelt werden können — aber leider bleibt Sarajewo ein konventionelles Theaterstück, das in Sentimentalitäten ertrinkt.
Birgit Maaß
Noch heute und morgen, Halle 6 20.30 Uhr
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