: Das "Bremer Männerwunder"
■ Von den Männertagen zum Sorgentelefon: Der lange Marsch zum Mannsein / Erster Teil
Das „Bremer Männerwunder“
Von den Männertagen zum Sorgentelefon: Der lange Marsch zum Mannsein / Erster Teil
Man schrieb das Jahr 1984. Es geschah in Bremen. Später nannte man es das „Bremer Männerwunder“. An der Universität fanden die alljährlichen „Gesundheitstage“ statt, mit Sang und Klang, mit Tanz und gemeinsamem Atmen, mit Massage hier und Akupressur da. Eine Veranstaltung fiel aus dem Rahmen: „Die unendliche Lust der Männer“ hieß der Titel, der Zugang war beschränkt — „nur für Männer“. Trotzdem wurde es knüppelhagelvoll, fast 400 Männer kamen, um zu hören und zu sprechen. Und bald darauf bot sich in der Uni ein ungewohntes Bild: „In den Fluren, in den Ecken und Nischen — überall hockten dort die Männer und erzählten sich was“, erinnert sich ein Teilnehmer. Erstaunt wurde dem zugehört, „was auch die anderen Männer hinter ihrer alltäglich zur Schau gestellten Potenz verbergen.“ Die Bremer Männerbewegung war geboren.
Fast zehn Jahre später, es ist Donnerstag nachmittag, 16 Uhr. Im Bremer „Gesundheitsladen“ gibt es eine Sitzecke mit Tisch, Bücherregal und Telefon. Hier hat das „Männerbüro Bremen“ seinen Platz. Werner Kaiser wartet auf Anrufe. Wenn das Telefon klingelt, könnte ein Mann in Not dran sein. Denn dies ist das anonyme „Männertelefon“, das per Handzettel in Kneipen und Bioläden seine Dienste anbietet: „anonyme und individuelle Beratung zu u.a. folgenden Themen: männliche Identität, Beziehung / Trennung, Vatersein, Sexualität, Männer und Gesundheit“.
Das Männertelefon ist die Errungenschaft der Bremer Männerbewegung. Nach dem ersten reflektorischen Zucken der Männer vor zwanzig Jahren, als beunruhigte und aufgescheuchte Paschas auf den feministischen Furor zu reagieren begannen, entdeckten Männer zwar das Strikken und hüftumspielende Pluderhosen — doch eine männerbewegte Infrastruktur analog zur Frauenbewegung entstand nicht. Ein zweiter Anlauf wurde Mitte der 80er versucht. In Bremen zum Beispiel fand nach dem „Männerwunder“ eine ebenso erfolgreicher bundesweit beachteter Männerkongreß statt, der unter dem selbstironischen Titel lief „Wenn MÄNNER ihre TAGE haben“. Zwar hatten solche Veranstaltungen immer eine großes Medienecho, und die Verlage überschwemmten den Markt mit Bewegungsliteratur; zu einer nennenswerten bewegte-Männer-Szene kam es jedoch wieder nicht. Immerhin entstand nach den Bremer Männertagen das kleine, aber ehrenwerte Männerbüro; letzteres überlebt indes nur, weil sich fünf Ehrenamtliche für die Sache einsetzen. Die Portokosten zweigt man aus einem kleinen Haushaltsposten im Gesundheits-und Sozialressort ab, Rubrik „Gefährdetenhilfe“.
Der Mann am Männertelefon, Werner Kaiser, ist gelernter Psychotherapeut und entsprich in etwa dem Klischee vom „Neuen Mann“, dessen sich die zahlreichen Lästermäuler und hämischen Kritiker der bewegten Männer bedienen. Kaiser trägt Gesundheitslatschen, Shorts, macht sanfte und rundliche Handbewegungen und hat warme braune Augen, die lange tiefe Blicke werfen. Außerdem spricht er gern von sich und seinen Konflikten, z.B. davon, wie er zur Bewegung stieß. „Bei mir war es die Trennungserfahrung, als mich meine Freundin verließ“, bekennt er und benennt damit zugleich das häufigste Motiv für Männer, die Nähe zum „bewegten Mann“ zu suchen. Den Kummer der Anrufenden kennt Kaiser in den meisten Fällen aus seiner therapeutischen Praxis, aber genauso aus den Männergruppen, die das Männerbüro organisiert. Die Themen sind alt und immer die gleichen: Schwierigkeiten im Bett, etwa nachdem ein Kind gekommen ist; der „als Überfall erlebte“ Ausbruch der Frau aus der Beziehung; das Fremdgehen; Sterilisation und Potenz; Gewalt und sexueller Mißbrauch. Bis zu zwanzig Minuten lang darf man beim „Erstkontakt“ am Telefon sein Herz ausschütten. Dann vermittelt Kaiser weiter: an staatliche oder kirchliche Beratungsstellen, an therapeutische Einrichtungen, ans Männerbüro wegen einer Männergruppe. Oder an den Männerberater bei „Pro Familia“. Burkhard Straßmann
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