: Immer neu nähern
■ Ein Gespräch mit "Monitor"-Leiter Klaus Bednarz über den Umgang mit Rechtsradikalismus im Fernsehen
taz: Worauf gründet sich ihre Hoffnung, die öffentlich-rechtlichen Anstalten könnten besser auf Rechtsradikalismus reagieren als die Privaten? Alexander Kluge hat in der taz kürzlich eher dafür plädiert, durch Besetzung der Spielfilm-Plätze bei den Privaten unterhaltungswillige Zuschauer quasi „abzufangen“...
Bednarz: Der Erfolgsdruck ist einfach bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten nicht so hoch wie bei den Privaten, die beispielsweise kaum eine Auslandsberichterstattung haben, die sich jenseits vom Aktionismus bewegt. Das gilt auch für „Spiegel-TV“. Ruhige, stillere Hintergrundberichte sind doch da völlig unmöglich.
Die Öffentlich-Rechtlichen haben sich sehr verantwortungsbewußt und sensibel mit der deutschen Vergangenheit auseinandergesetzt, ob das Eberhard Fechner, Ralph Giordano, Lea Rosh oder Eberhard Jäckel waren, um nur einige zu nennen. Seit den siebziger Jahren gibt es eine Diskussion über den Umgang mit Rechtsradikalismus, die im wesentlichen um die Frage kreist, ob man lieber „sendet oder verschweigt“. Man hat uns mitunter den Vorwurf gemacht, wir hätten des Guten zuviel getan und damit nicht nur einen Übersättigungseffekt erzielt, sondern uns auch zur Wirkungslosigkeit verurteilt. Auch den gegenteiligen Vorwurf gibt es: zu wenig zu spät. Das Problem ist, daß wir viel zuwenig über die Wirkungsweise des Fernsehens wissen. Die Gefahr, daß wir Nachahmungstäter oder Märtyrer schaffen, wie wir das im Fall der Republikaner erlebt haben, besteht immer.
Könnten Sie sich eine Form von präventiver Berichterstattung vorstellen? Bei den Aufnahmen aus Rostock zum Beispiel war doch sehr auffällig, daß man die Skins nur als brandschatzende, brüllende Horden sah; einzelne kamen nicht zu Wort. Man sieht nur die Eskalation, die unbeherrschbar wirkt.
Ich warne auch hier vor zu einfachen Antworten. Sicher ist es problematisch, im Bild einfach einen unter der Reichskriegsflagge marschierenden, trommelschlagenden und „Sieg heil“ brüllenden Trupp von Neonazis durch eine Stadt marschieren zu lassen; das kann für viele mobilisierend wirken. Andererseits birgt die Auflösung in Einzelporträts die Gefahr der Identifikation. Das sind dann plötzlich nicht mehr einfache, anonyme Ungeheuer, sondern vielleicht durchaus sympathische Mädchen oder Jungen von nebenan. Wir haben zum Beispiel einmal eine 19jährige, adrett aussehende junge Frau aus Leipzig porträtiert, die bei einem Brandanschlag auf ein Flüchtlingsheim beteiligt gewesen war. Es war schon verblüffend, von so jemandem zu hören: „Man kann nicht verhindern, daß dabei ein Mensch verbrennt.“ Wir haben jedenfalls in unserer Redaktion auch kein Rezept dafür, wie man mit dem Thema umgeht, wir nähern uns immer neu diskutierend dem Einzelfall.
Die Strategie des Kanzlers besteht ja auch darin, immer wieder den Einzelfall, das Exeptionelle zu betonen, und Rückschlüsse auf das gesellschaftliche Ganze zu verhindern...
Ich halte diese Aussage des Kanzlers für so unverantwortlich wie vieles andere, das er zur Zeit äußert. Gerade im Fall Solingen hat er wiederholt betont, es habe sich um einen Einzeltäter gehandelt — eine Einschätzung, die durch nichts in der Realität gedeckt ist. Das ist meines Erachtens nicht nur fahrlässig, sondern sträflich. Die Politik und auch ein Teil der Medien haben dazu beigetragen, daß eine Atmosphäre entstanden ist, in der jeder Gewalttäter gegen Ausländer das dumpfe Gefühl hat, er tue etwas, das Politiker gerne tun würden. Er fühlt sich nicht nur gedeckt, sondern geradezu aufgefordert; als tue er die Schmutzarbeit und die Politiker müßten ihm dafür dankbar sein.
Wie kann ein politisches Fernsehmagazin darauf reagieren?
Man muß auf diese Zusammenhänge hinweisen und gleichzeitig auch kontrolliert an die Emotionen der Zuschauer appellieren. Wir hatten zum Beispiel in unserer Sendung von gestern abend einen Bericht über die Angst türkischer Kinder, in dem wir auch darüber informierten, daß inzwischen in fast allen türkischen Familien unter den Betten Seile und Strickleitern liegen; daß die Kinder nicht mehr allein auf Spielplätze gelassen werden, auf denen sie früher gemeinsam mit ihren deutschen Freunden gespielt haben. Wir sagen den Zuschauern: Das sind die potentiellen Opfer, gegen die sich diese Politik richtet.
Obwohl die technischen Möglichkeiten der Live-Berichterstattung heute ausgefeilter sind, wächst auch das Mißtrauen ihr gegenüber. Es wird mehr inszeniert, der Trend geht zu den „Dokudramen“. Muß man das Wort-Bild- Verhältnis ändern?
Das klassische Rezept des Fernsehens, nämlich das „Draufhalten“, kann nicht mehr so selbstverständlich eingesetzt werden wie bisher. Wir müssen versuchen, auch in unserer aktuellen Berichterstattung stärker als bisher vom Aktionismus und von den vermeintlich attraktiven Bildern wegzukommen. Das kann durch ein Interview oder einen klugen Kommentar passieren; aber die Zeit des kritiklosen Einfangens ist vorbei.
Man darf andererseits die Medien nicht überfordern. Das Fernsehen kann auch nicht mehr leisten als der Rest der Gesellschaft, das Bildungswesen oder die Politik. Es kann letztlich nur Angebote machen. Interview: Mariam Niroumand
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