: Eine Galgenfrist für das Schiller Theater
Berliner Verfassungsgericht stoppt vorläufig die Abwicklung der Bühne / Ende im September? ■ Aus Berlin Dieter Rulff
Der gestrige Spruch des Berliner Verfassungsgerichts in Sachen Schiller Theater hat alle beteiligten Seiten gleichermaßen zufriedengestellt. Die klagenden Fraktionen von FDP und Bündnis 90/Grüne, sehen sich in ihrem Anspruch bestätigt, als Teile des Parlaments bei der Schließung des Theaters mitentscheiden zu dürfen, der beklagte Senat sieht sich in seiner Position gestützt, das Theater nun abwickeln zu können – und der Intendant der Bühne, Volkmar Claus, sieht „eine Tür geöffnet, daß wir selbst aktiv werden“.
Dieses seltene Wohlwollen verschaffte sich das Verfassungsgericht mit einer einstweiligen Anordnung, mit der es den Juni- Beschluß des Senats zur sofortigen Schließung und Abwicklung des Schiller Theaters vorläufig außer Kraft setzte. Es gab damit einem entsprechenden Antrag von FDP und Bündnis 90/Grünen statt, die das Gericht angerufen hatten, weil ihrer Ansicht nach der Beschluß des Senats zum Schiller Theater in das Budgetrecht des Parlaments eingreife.
Denn, so das Argument der Oppositionsparteien, der Bühne seien vom Abgeordnetenhaus für das laufende Haushaltsjahr 42 Millionen Mark bewilligt worden, damit auf ihr gespielt und nicht, damit sie abgewickelt werde. Ob das Parlament daraus tatsächlich eine Mitentscheidungsbefugnis ableiten kann oder ob der Senat, wie er selber meint, die Schließung in eigenem Ermessen beschließen darf, soll in der Hauptsache Ende September vor dem Verfassungsgericht entschieden werden. Um zu verhindern, daß dann „das Parlament nichts mehr vorfindet, was zu erhalten sich lohnt“, hat das Verfassungsgericht, bis zu diesem entgültigen Spruch, die Abwicklung unterbunden.
Es hat jedoch zugleich, um den Interessen des Senats gerecht zu werden, diesen Vollzugsstop in zwei entscheidenden Punkten relativiert. Zum einen „ist es dem Senat gestattet, fristgebundene Kündigungen und Nichtverlängerungsmitteilungen für Teile des Ensembles und der sonstigen Mitarbeiter auszusprechen, solange die Staatliche Bühne als solche erhalten bleiben“. Zum anderen kann der Senat sofort im vollen Umfang weiter abwickeln, sobald dies durch Parlamentsbeschluß gebilligt werden sollte.
Kulturstaatssekretär Winfried Sühlo machte nach dem Richterspruch deutlich, daß er die Abwicklung in dieser reduzierten Form fortsetzen und diese Parlamentsentscheidung alsbald als möglich herbeiführen wird. Claus will bis dahin die Gelegenheit nutzen, „mit neuen Konzepten die Parlamentarier zu beeinflussen“. Die Unterstützung der Opposition ist ihm sicher, doch auch die CDU- Fraktion sich hat öffentlich bereits für die Rettung der Bühne ausgesprochen und damit einen Konflikt in der Großen Koalition provoziert.
Das Schiller Theater wäre der zweite wesentliche Dissenz, den sie mit dem von ihr gestellten Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen austragen würde. Der war bereits mit der Einrichtung der Akademie der Künste zweimal an seinen eigenen Parteifreunden gescheitert. Auf der ersten Abgeordnetenhaussitzung Anfang September wird voraussichtlich über die Existenz beider Einrichtungen entschieden werden.
Der Bündnis 90/Grüne-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Wieland sieht bereits gute Chancen für eine Mehrheit gegen den Senatsbeschluß zum Schiller Theater. Sollte sie tatsächlich zustandekommen, müßte Diepgen ums politische Überleben kämpfen, zumindest wäre ein Urteil des Verfassungsgerichts Ende September damit nicht mehr erforderlich.
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