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Freispruch für Demjanjuk

■ Israels Oberster Gerichtshof hat Zweifel an Identität mit „Massenmörder von Treblinka“

Jerusalem (AFP/AP) – Überlebende des Holocausts reagierten wütend und empört, der Sohn des Angeklagten weinte. Allgemeine Überraschung löste gestern der Freispruch aus, den der Oberste Gerichtshof Israels im Fall des gebürtigen Ukrainers John Demjanjuk verkündete. Historiker versuchten, die Gemüter zu beruhigen, indem sie betonten, das Urteil ändere nichts an geschichtlichen Tatsachen.

Der 73jährige Demjanjuk steht im Verdacht, als „Iwan der Schreckliche“ zwischen 1942 und 1943 an der Ermordung Tausender von Juden im Konzentrationslager Treblinka beteiligt gewesen zu sein. Seinen Freispruch begründete das Gericht mit einem Mangel an Beweisen, nachdem aus den Archiven des ehemaligen sowjetischen Geheimdienstes KGB Dokumente aufgetaucht waren, die einen anderen Mann als den berüchtigten Nazi-Schergen auswiesen. Demjanjuk soll in den kommenden Tagen ausgewiesen werden. Unklar bleibt wohin, da die USA ihm mit seiner Auslieferung an Israel vor sieben Jahren die Staatsbürgerschaft entzogen hatten.

Der Vorsitzende des Obersten Gerichts, Richter Meir Shamgar, erklärte zu dem Urteil, die schreckliche Erinnerung an den Holocaust dürfe die Justiz nicht davon abhalten, getreu den Gesetzen zu entscheiden. Im ersten Prozeß war Demjanjuk von fünf Überlebenden des Konzentrationslagers Treblinka anhand von Fotos als „Iwan der Schreckliche“ identifiziert worden. Bei dieser Identifizierung sei es zu keinem Verfahrensfehler gekommen, betonten nun die fünf Richter des Obersten Gerichts. Die KGB-Unterlagen müßten jedoch berücksichtigt werden. Sie enthalten Zeugenaussagen von 37 Angehörigen einer ukrainischen Hilfsmannschaft der SS, die einen anderen Mann als „Iwan den Schrecklichen“ identifiziert hatten. Diese Person, Iwan Marschenko, gilt seit Ende des Zweiten Weltkrieges als verschwunden. „Diese Dokumente führen einen begründeten Zweifel an der Schuldhaftikeit des Angeklagten ein“, sagte Shamgar in der Urteilsbegründung. Das Gericht räumte ein, daß Demjanjuk durchaus Wächter in einem Konzentrationslager gewesen sein könne. So sei unter anderem ein SS- Ausweis authentisch, aus dem hervorgeht, daß Demjanjuk in dem KZ Trawniki zum „Wachmann“ ausgebildet und später als Wachposten in das Vernichtungslager Sobibor in Polen geschickt wurde. Der Leiter des jüdischen Dokumentationszentrums in Wien, Simon Wiesenthal, bezeichnete das Urteil als „gerecht“. „Als Jude bin ich stolz, wie das Oberste Gericht diese Sache behandelt hat.“

Demjanjuks israelischer Verteidiger Scheftel entging nach dem Urteil dem Steinwurf einer aufgebrachten Israelin, die nur sein Auto traf und dafür von der Polizei festgenommen wurde. Ehe sie abgeführt wurde, sagte sie: „Ich wollte eigentlich mit einem Stein nach Demjanjuk werfen, aber da ich das nicht konnte, habe ich einen Stein nach ihm (Scheftel) geworfen, denn er ist ein Verräter.“ Tagesthema Seite 3, Kommentar Seite 10

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