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Was wird aus den Sahraouis?

Erfolglose Gespräche zwischen Marokko und den Sahraouis / Polisario verliert Terrain / UNO macht Marokkos Hinhaltetaktik mit  ■ Von Berthold Kuhn

„Ihr seid unsere Söhne“, erklärte der marokkanische UN- Botschafter Senoussi den Vertretern der Polisario bei der jüngsten Zusammenkunft der beiden Kriegsparteien vergangene Woche in El-Ayoun. Mehr als altväterliche Arroganz hatten Marokkos Verhandlungsführer der Polisario bei den Gesprächen in der größten nordsahraouischen Stadt nicht zu bieten. Die Ergebnisse des auf UN-Vermittlung zustandegekommenen Treffens waren dürftig und verdeutlichten vor allem die unnachgiebige Haltung Marokkos im Westsahara-Konflikt. Die Polisario sieht sich durch Marokkos Hinhaltetaktik provoziert. Der Konflikt könnte nach einer langen Waffenruhe erneut eskalieren.

Die Polisario und Marokko haben unterschiedliche Vorstellungen, wer an der geplanten Abstimmung über die politische Zukunft der Westsahara teilnehmen darf. Das eigentlich für Januar 1992 geplante und wiederholt verschobene Referendum unter UN-Aufsicht ist damit weiter blockiert. Nach Ansicht der Polisario soll dem Referendum der letzte spanische Zensus von 1974 zu Grunde gelegt werden, bei dem 75.000 wahlberechtigte Sahraouis gezählt wurden. Marokko fordert jedoch, daß auch Zuwanderer, die nach 1975 in das Gebiet gekommen sind, berücksichtigt werden. Marokkos König Hassan II. fördert durch massive finanzielle Anreize seit Jahren die Ansiedlung von Marokkanern in der Westsahara. Damit will die Regierung die demographischen Verhältnisse zwischen Sahraouis und Marokkanern zu ihren Gunsten verändern. Jetzt will Marokko die Früchte dieser Siedlungspolitik ernten.

An Marokkos unversöhnlicher Strategie in der Westsahara-Frage hat auch der Sieg der Oppositionsparteien bei den Parlamentswahlen im Juni nichts geändert. Die beiden Wahlgewinner, die Sozialistische Union der Volkskräfte und die national-konservative Istiqlal-Partei profilierten sich in der Opposition als Scharfmacher gegen die Polisario und die Unabhängigkeit der Westsahara. Die Monarchie, die politischen Parteien und ein Großteil der marokkanischen Bevölkerung sind fest entschlossen, alles für die völlige Anbindung der Westsahara an Marokko zu tun.

Das Kräfteverhältnis zwischen den beiden Konfliktparteien hat sich spätestens seit Anfang der 90er Jahre zugunsten Marokkos verschoben. Zuvor profitierte die Polisario vor allem von den Spannungen zwischen Marokko und Algerien. Algerien leistete der Polisario großzügige logistische und militärische Unterstützung. Tausende von Sahraouis leben im südalgerischen Tindouf in Flüchtlingslagern. Dort feierte die Polisario im Mai ihr 20jähriges Bestehen. Die Krise in Algerien und der Zusammenbruch der sozialistischen Systeme wirken sich negativ für die Polisario aus. Algerien hat andere Sorgen und die „internationale Solidarität“ mit der Polisario hat ihre Bedeutung verloren. Zudem ist die Polisario uneins über ihr Vorgehen. Einige ihrer Vertreter, darunter der frühere Polisario-Botschafter in Algerien, Erahim Hakim, sind sogar auf die marokkanische Seite übergelaufen.

Die marokkanische Armee hat ihren militärischen „Schutzwall“ immer weiter nach Süden vorgeschoben. Das von ihr kontrollierte Gebiet wurde immer größer, der Partisanenkrieg, den die Polisario gegen die Besetzung der Westsahara führt, weit in die Wüste gedrängt. Südlich dieser „mobilen Demarkationslinie“ hat die Polisario das Sagen, nördlich davon, vor allem in der größten Westsahara- Stadt El-Ayoun ist die Macht fest in marokkanischen Händen.

Die UNO glänzt in diesem Konflikt vor allem durch Nachsicht gegenüber Marokko. Im Gegensatz zur Organsiation der Afrikanischen Einheit, in der die „Demokratische Arabische Sahara-Republik“, nicht aber Marokko Mitglied ist, hat es die UNO vermieden, Partei zu ergreifen. Der internationale Gerichtshof in Den Haag hatte 1975 ebenfalls kein eindeutiges Urteil zum Westsahara- Konflikt gefällt. Der Gerichtsspruch erkannte zwar historische Bindungen zwischen Marokko und den Stämmen der Westsahara an, formulierte allerdings keinen politischen Anspruch Marokkos auf die Westsahara. Sowohl die Polisario als auch die marokkanische Regierung sahen sich damals in ihren Positionen bestätigt.

Seit 1991 sind 350 Blauhelme aus 25 Nationen in der Westsahara stationiert. Zur Überwachung des Referendums sind weitere ausländische Kräfte angefordert worden. Die BRD will sich mit vier Beamten des Bundesgrenzschutzes beteiligen. In El-Ayoun sind die Luxushotels bereits vollständig von der UNO besetzt. Auf den Parkplätzen blitzen die weißen UN-Geländewagen in der Sonne. Weiß ist die Farbe der Unschuld, und die UNO möchte sich durch zu starken politischen Druck auf Marokko nicht die Hände schmutzig machen. Die Blauhelme kämpfen vor allem gegen Hitze und Langeweile.

Die Lösung des Konflikts droht buchstäblich zu versanden, weil die UNO sich letztlich auf die marokkanische Hinhaltetaktik eingelassen hat. Durch die Einreichung immer neuer Wählerlisten und Neubesetzungen ihrer Verhandlungsdelegationen blockiert Marokko weiterhin erfolgreich das Referendum. Für den Fall, daß es dennoch irgendwann zu einem Referendum kommt, hofft die marokkanische Regierung, daß ihr die gegenwärtige Einflußnahme auf die Zusammensetzung der Wählerlisten einen Sieg beschert. Die Zeit arbeitet bislang für Marokko.

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