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Platzt Maastricht?

Das Europäische Währungssystem im Härtetest / Der französische Franc wird womöglich aus dem EWS gedrängt  ■ Von Alois Berger

Berlin (taz) – Es knirscht gefährlich im Gebälk des Europäischen Währungssystems (EWS). Die Spekulanten rüsten sich zum Stabilitätstest einiger Eurowährungen, und kaum ein Banker würde noch einen Franc darauf verwetten, daß die französische Währung dieses Wochenende ohne Abwertung übersteht. Auf den Devisenmärkten wird sogar darüber spekuliert, ob die französische Regierung sich möglicherweise zum Ausstieg aus dem EWS entschließt. Damit wäre Maastricht hinfällig.

Nach der zaghaften Zinssenkung der Bundesbank um ein halbes Prozent, die entgegen allen Erwartungen eher kosmetischen Charakter hatte, sind der französische und der belgische Franc sowie die dänische Krone unter noch stärkeren Abwertungsdruck geraten. Der Verzicht auf die erhoffte Diskontsatzsenkung wird als deutlicher Hinweis gewertet, daß der Bundesbank das inländische Problem Inflation wichtiger ist als der Erhalt des EWS.

Dieses Signal wurde auch von den Spekulanten verstanden, die vor allem den französischen Franc aufs Korn nahmen. Sie hoffen darauf, daß die Stützungskäufe der europäischen Notenbanken nicht ausreichen werden und daß der Wert des Franc weiter fällt, als es die Regeln des EWS erlauben. „Die Märkte setzen voll auf Abwertung“, sagte Thorsten Neufeld von der Deutschen Bank. Er muß es wissen, denn die Spekulanten, die sich von der Abwertung Millionen-Gewinne erhoffen, sitzen auch in seinem Haus. Spekulanten, das sind nicht die düsteren Figuren mit Schiebermütze auf dem fettigen Toupet und Zigarrenstummel im Mundwinkel, sondern soignierte Herren und ein paar Damen, die ihre Computer damit beauftragen, erwartete Währungsveränderungen durch Umschichtung großer Buchgeldbeträge sofort auszunutzen. Und da die großen Banken mindestens genausoviel Geld haben wie die Notenbanken, ist die Frage nur, welche Seite entschlossener auf dem Markt eingreift.

Im September letzten Jahres zwangen die Spekulanten das britische Pfund und die italienische Lira so weit nach unten, daß sie schließlich aus dem EWS herausbrachen. Jetzt ist die Entschlossenheit der französischen Regierung auf dem Prüfstand, und die ist nicht mehr über jeden Zweifel erhaben. Bereits während der Kampagne vor dem französischen Maastricht- Referendum im Herbst 92 hatten weite Teile der heute regierenden Gaullistischen Partei RPR ihre Abneigung gegen die gemeinsame Eurowährung gezeigt. Ein Abschied aus dem EWS würde das Thema ein für allemal erledigen.

Premierminister Balladur versichert, daß er fest zum EWS steht. Sein Parteichef Chirac, der Staatspräsident werden will und deshalb viel sensibler auf die Stimmungslage der Parteibasis reagiert, hat in letzter Zeit dagegen widersprüchliche Signale ausgeschickt und damit die Spekulanten ermuntert.

Das letzte Mal, daß in Frankreich über einen Ausstieg aus dem EWS nachgedacht wurde, war im Mai 1981, nach dem Regierungsantritt der Sozialisten. Damals wurde das System nur dadurch gerettet, daß Frankreich die Ausfuhr von Francs einfach drastisch einschränkte.

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