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Bürgerweide von den Bürgern erobert

■ Hunderte von HändlerInnen trotz Verbot beim Flohmarkt / Polizei hielt sich zurück und räumte das Feld

Es war ein bißchen wie im Wilden Westen, nur der Umgangston war höflicher. Eine handvoll Uniformierter versuchte gesterndie Wagenburg Bürgerweide gegen die Gesetzlosen zu verteidigen. Als diese im Morgengrauen anrückten, war ihre Taktik bald klar: so lange die Wagenburg umkreisen, bis sich ein Einlaß findet und dann den Sperriegel durchbrechen. Die Ordnungshüter sahen ihre zahlenmäßige Unterlegenheit ein; zuviele Löcher galt es zu stopfen. Als die Sonne hinter dem Bürgerpark aufging, kam der Befehl zum taktischen Rückzug. Begeistertes Geheul begleitete die abziehenden geschlagenen Truppen.

In der Tat meinten beide Seiten es ernst: die HändlerInnen waren entschlossen, trotz Verbot und Bußgeldandrohung ihren gewohnten sonntäglichen Flohmarkt auf der Bürgerweide zu veranstalten. Die Polizisten dagegen waren da, um das Verbot durchzusetzen und niemanden mit seinem Auto voller Flohmarktwaren auf den Parkplatz zu lassen. Bereits seit Freitag hatte die Polizei nach Aussagen von MitarbeiterInnen des Kulturzentrums Schlachthof die Zugänge zur Bürgerweide mit Betonpollern blockiert und am Samstag die polnischen Reisebusse dort nicht parken las

Auch Ortsamtsleiter Heck konnte einem ehemaligen Marktleiter ein paar Schuhe vermachen...

sen. Zusammen mit der Androhung von Bußgeld bewirkte dies den Abzug der Busse auf den Hambuger Flohmarkt, hieß es. Die ungesicherten Zufahrten wurden am frühen Sonntag morgen dann von Polizeiwagen blockiert.

Rund um das Gelände hatten sich MitarbeiterInnen der „Initiative für den Erhalt des Flohmarktes“ mit Funkgeräten postiert.

hier bitte das Foto

vom Flohmarkt

Als von einigen Flohmarktfans die Betonpoller vor den nördlichen Eingängen weggerollt wurden, entstanden die ersten Breschen in der Sicherung der Bürgerweide. Die Ordnungshüter, die nur mit einem kleinen Aufgebot von etwa 25 Beamten im Einsatz waren, kamen mit dem Stopfen der Löcher nicht mehr nach. Immer wieder sickerten kleine Gruppen von Autos auf die Bürgerweide durch. Als gegen 7.15 Uhr etwa 100 HändlerInnen auf dem Platz waren, zog sich die Polizei zurück.

„Viel zu wenig Beamte“ seien im Einsatz gewesen, um den Auftrag zur Verhinderung des Flohmarkts zu erfüllen, meinte der Einsatzleiter, Hauptkommissar Fred Hufendiek vom Revier Schwachhausen. Offensichtlich verfolgten die Beamten ein Konzept der Deeskalation. „Es ist ja auch das erste Mal hier, wir sammeln noch Erfahrung“, meinte Hufendiek. Vereinzelt gab es Rangeleien mit Besuchern, einem Fotografen wurde der Film aus der Kamera gerissen, nachdem er Polizisten fotografiert hatte. In den Gesprächen machten die Beamten aber auch deutlich, daß sie den Sinn der Aktion anzweifelten. „Es gibt wirklich Wichtigeres für uns zu bearbeiten als diese Probleme mit dem Flohmarkt, die die Stadt sich selbst schafft“, war eine Meinung. „Von mir aus könnte der Markt ja bleiben, aber die Prostitution müßte aufhören.“ — „Das stimmt doch überhaupt nicht mit der Prostitution“, hieß es von der anderen Seite. Auch politische Einsicht zeigten die Beamten: „Ihr seid nun mal die Kleinsten, Ihr werdet

als erste getreten.“

Mit dem Abzug der Staatsmacht und dem schönen Wetter kamen schließlich etwa 300 HändlerInnen und einige tausend BesucherInnen. Bei Mineralwasser feierten die AktivistInnen mittags ihren Sieg: „Wir sind sehr zufrieden. Die Leute haben gezeigt, daß sie sich den Markt nicht nehmen lassen wollen. Wir hoffen, daß auch der Senat das erkennt und den Flohmarkt im Wochenrhythmus bestehen läßt,“ sagte Uwe von der „Initiative“.

In den nächsten Wochen soll der Markt selbstorganisiert weitergeführt werden. Statt einer Standmiete gab es gestern eine Spendensammlung unter HändlerInnen und BesucherInnen: „Wir hoffen, daß damit unsere Kosten für die Müllcontainer und die Toilettenhäuschen gedeckt sind“. Trotz vorheriger Drohung und Anwesenheit des Marktmeisters Wolfgang Ahrens wurden die angekündigten 100-Mark- Bußgelder nicht verhängt.

Die Stimmung unter HändlerInnen und BesucherInnen war am Morgen entschlossen und kämpferisch, ging dann aber in die übliche Geschäftigkeit über. Nach morgendlichem Geschimpfe auf den Senat formierte sich gegen 6.30 Uhr die Front der „Tausch“-HändlerInnen. „Es ist nicht verboten, hier zu parken, seine Stände aufzustellen und zu tauschen“, lauteten die Anweisungen über Megaphon. „Wenn jemand offiziell aussieht, für den wird hier nur getauscht“, hieß es an den Ständen.

Andere waren nicht trotz, sondern wegen des Verbots auf die Bürgerweide gekommen. „Die 100 Mark sind einkalkuliert“, lautete die Meinung. Und auch Hucky Heck, Ortsamtsleiter im Viertel, saß vor einer kleinen Decke und verschenkte alten Krempel: „Schau' Dir das doch an hier, das ist noch richtiger Flohmarkt, wo jeder kommt. Wenn das nur noch einmal im Monat stattfindet, dann wird das bald so ein Schicki-Micki-Markt, wo es nur noch Antiquitäten gibt.“ Gegen das Verbot des Flohmarkts sitze er da, erklärte Heck, sonst sei er nie Anbieter hier. Bei der Polizei hatte er sich am Morgen beschwert, durch die Absperrung hindere sie ihn daran, „eine Ordnungswidrigkeit zu begehen.“ Bernhard Pötter

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