piwik no script img

Clinton will Bosnien-Politik verschärfen

■ Luftangriffe auf serbische Stellungen wegen Angriffen auf UNO-Truppen angedroht / Heute NATO-Treffen in Brüssel / Spekulationen über Sinneswandel

Washington (taz) – Wochenlang hatten sich die USA aus den diplomatischen Verhandlungen faktisch verabschiedet, doch seit einigen Tagen steht das Thema Bosnien wieder ganz oben in der Pressepolitik des US-State Departments. Seit die Clinton-Administration Anfang letzter Woche wieder einmal Luftangriffe auf serbische Stellungen angedroht hat, wird nicht nur in Washington darüber spekuliert, wie ernst es dem US-Präsidenten wohl dieses Mal ist.

Angebliche Einigkeit mit London und Paris

Nach Angaben der Washington Post glaubt Clinton nach mehrtägigen Gesprächen, Frankreich und Großbritannien so weit von der Notwendigkeit einer Intervention überzeugt zu haben, daß ein entsprechender Plan für Luftangriffe gegen serbische Stellungen heute auf einem Treffen des Nordatlantischen Rates der NATO in Brüssel erörtert werden soll. Ziel der Aktion soll sein, die Belagerung Sarajewos und anderer muslimischer Städte aufzuheben. Völlig unklar sind allerdings zentrale Details bezüglich der Einsatzleitung, des Mitspracherechts der UNPROFOR-Truppen unter Leitung des französischen Generalleutnants Jean Cot sowie der Stationierung von Spähtrupps, die serbische Artillerie orten und die Information an Kampfflugzeuge weitergeben können. Unklar ist auch, wie die UNO angesichts ihrer desolaten finanziellen und logistischen Lage in Sarajewo und anderen Städten die Versorgung mit Hilfsgütern ausweiten und aufrechterhalten soll – vorausgesetzt, die alliierten Luftangriffe finden überhaupt statt und sind erfolgreich.

Unbestritten ist, daß die Clinton-Administration mit ihrem jüngsten Schritt Richtung Brüssel die politische Zielsetzung einer möglichen Militärintervention deutlich erweitert. Ursprünglich war lediglich davon die Rede, durch Einsatz von US-amerikanischen und anderen alliierten Kampfflugzeugen UNO-Truppen zu schützen, die in der letzten Woche mehrfach von serbischen Milizen unter Beschuß genommen worden waren. Noch am Freitag, nachdem erneut ein UN-Soldat bei Bombenangriffen auf spanische Blauhelme in Jablanica getötet worden war, hatte Clinton UN- Generalsekretär Butros Butros Ghali aufgefordert, einen alliierten Luftangriff zu autorisieren. Bereits am letzten Sonntag waren mehrere UNO-Soldaten durch serbischen Beschuß ums Leben gekommen. Im Gegensatz zur Rhetorik der US-Regierung will Butros Ghali allerdings jeglichen Einsatz von Kampfflugzeugen auf serbische Stellungen beschränken, die UNO-Truppen angreifen.

Ihre Bereitschaft, in Bosnien stationierte Blauhelme durch die Luftwaffe zu schützen, hatte die Clinton-Administration bereits im Mai zugesichert, als die UNO auf Drängen Frankreichs mehrere belagerte muslimische Städte zu Sicherheitszonen deklarierte, ohne allerdings irgendeine Form von Sicherheit garantieren zu können, wie sich umgehend herausstellte. Die USA selbst hatten damals ausdrücklich erklärt, keine Luftangriffe zum Schutz muslimischer Zivilisten zu fliegen.

Fürchtet Clinton die „CNN-Kurve“?

Fraglich ist nun, was den Sinneswandel in der Administration hervorgerufen hat – zu einem Zeitpunkt, da in Genf die Aufteilung Bosniens besiegelt wird. In der US- Presse wird vielerorts spekuliert, daß die Clinton-Administration die „CNN-Kurve“ fürchtet – Fernsehbilder von der drohenden militärischen Eroberung oder der fortgesetzten Aushungerung Sarajewos, die in der US-Öffentlichkeit Kritik an der Untätigkeit der einzigen Supermacht USA provozieren könnte. Der Fall Sarajewos, so argumentierte auch Joseph Biden, Senator aus dem Bundesstaat Delaware und Mitglied des Streitkräfteausschusses, wäre eine „enorme Last“ auf den Schultern jener Administration, die sich einst anschickte, der Politik des ethnic cleansing Einhalt zu gebieten.

Andere wiederum sind angesichts des Zick-Zack-Kurses der Clinton-Administration in der Bosnien-Politik skeptisch. George Kenney, im US-State Departement bis letztes Jahr zuständiger Beamter für Jugoslawien, hält Clintons Drohgebärden gegenüber den Serben eher für Performance denn für Politik. Kenney hatte im Sommer 1992 seinen Job im Außernministerium aus Protest über die passive Jugoslawien-Politik der Bush-Administration gekündigt – ein Schritt, zu dem ihm damals unter anderem Anthony Lake gratulierte, der heute Sicherheitsberater des Präsidenten ist.

„Ich fürchte, es ist ein weiterer Bluff, um die Serben zurückzuhalten“, erklärte Kenney. Außerdem habe man der bosnischen Regierung mit diesem Manöver die Zustimmung zur Aufteilung ihres Staates erleichtern wollen. Zudem, so Kenney, sei die Sicherheit der muslimischen Städte nicht allein mit einigen Luftangriffen gegen serbische Artillerie wiederherzustellen. Andrea Böhm

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen