■ Freie Fahrt für freie Flaschen
: Statistisch nüchtern

Berlins Statistiker sind fleißig. Sie kümmern sich nicht nur um die neuesten Zahlen zur Bevölkerungsentwicklung, nein, wer es wissen will, kann bei ihnen auch erfahren, wieviel Menschen sich im vergangenen Jahr in Urnen beisetzen ließen. Fast 30.000 – bestatten ließen sich dagegen nur knapp mehr als 10.000. Der SFB sendete genau 851.521 Minuten, und die Zahl der Tiere im Zoo sank von 4.581 auf 3.909. Mit den Hunderten von Tabellen in dem über 500 Seiten starken Jahrbuch des Statistischen Landesamtes wird wiedergegeben, was Wissenschaftlern und Regierenden wichtig erscheint – und was nicht. Was sie nicht für wichtig halten: wie sich beispielsweise die vor einem halben Jahr in Ostberlin eingeführte 0,8-Promille-Regelung auf die Sicherheit im Straßenverkehr auswirkt. Eine gesonderte Untersuchung zu dieser Frage gibt es nicht.

Dabei deutet die Unfallentwicklung in den neuen Bundesländern darauf hin, daß auch die Ostberliner mit der neuen Freiheit hinterm Lenkrad so umgehen, wie es jeder Laie erwarten würde: ausprobieren. Und das heißt, mehr saufen als bisher – wer aber weiß schon, ab wann 0,8 Promille Alkohol in seinen Adern kreisen und die nächste Flasche Bier lieber nicht getrunken werden sollte. Selbstverständlich muß mit der damals stark umstrittenen Einführung der Promille-Regelung kontrolliert werden, welche Wirkungen diese neue Freiheit hat. Auch und gerade in Berlin. Wie soll die Polizei sonst erkennen, ob Alkoholkontrollen in den Ostbezirken viel vordringlicher sind als im Westteil der Stadt? So aber begünstigt eine ungenaue oder gar nicht existierende Statistik nicht nur „Freie Fahrt für freie Flaschen“, sondern auch eine ineffiziente Arbeit bei der Polizei. Dirk Wildt