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Neue Daumenschrauben für Chamorro

■ Der US-Senat will die fällige Wirtschaftshilfe an Nicaragua suspendieren

Managua (taz) – Nicaragua schlittert von einem Desaster ins nächste. Noch ist der brutale Armee-Einsatz gegen linke Rebellen, die die Stadt Esteli besetzt hatten, nicht aufgearbeitet, da kommt schon eine neue Schreckensmeldung: der Senat in Washington hat letzte Woche in einem von Demokraten und Republikanern getragenen Beschluß die Suspendierung aller fälligen Wirtschaftshilfe an Nicaragua beantragt. Die dringend benötigten Gelder sollen nach dem Willen der Senatoren erst freigegeben werden, wenn die Regierung in Managua die Verantwortlichen für die Ausstellung falscher Reisepässe dingfest macht, wenn US- Präsident Bill Clinton bestätigt, daß kein Mitglied der nicaraguanischen Regierung oder der Streitkräfte in „terroristische Aktivitäten“ verstrickt ist und wenn das State Department dem Kongreß einen Bericht über angebliche Terrorismusverbindungen Nicaraguas vorlegt.

Regierungschefin Violeta Chamorro und ihre engsten Berater versuchten zunächst, die Brisanz des überraschenden Beschlusses herunterzuspielen. „Offiziell wissen wir überhaupt nichts“, beschwichtigte ihr Privatsekretär Adan Guerra. Außerdem müsse der Beschluß erst vom Repräsentantenhaus und schließlich vom Präsidenten abgesegnet werden, um Gesetzeskraft zu erhalten. Der Kongreß sei jedoch im Urlaub und trete erst im September wieder zusammen.

Doch Erwin Krüger, Minister für Wirtschaftliche Zusammenarbeit, gab am Donnerstag zu, daß eine Zurückhaltung der Finanzhilfe katastrophale Folgen haben könnte: „Wenn im August nicht, wie geplant, 50 Millonen Dollar ausgezahlt werden, muß der Wirtschaftsplan angepaßt werden“, sagte Krüger. Mit anderen Worten: den Nicaraguanern, die ohnedies von den höchsten Steuern, Gebühren und Preisen in ganz Zentralamerika geplagt werden, stünden neue Belastungen ins Haus. Die erwarteten Gelder sind für Erdölkäufe sowie für Zinszahlungen und Schuldentilgung bei den internationalen Gläubigerinstitutionen fest verplant.

Einmal mehr geht das Anlegen der Daumenschrauben Washingtons Hand in Hand mit einer Offensive der politischen Rechtsparteien in Nicaragua. Die Führer der Uno-Allianz, die vor wenigen Tagen den Dialog mit der Regierung abbrachen, fordern den Rücktritt von Chamorro und Armeechef Humberto Ortega. Sie wollen eine verfassunggebende Versammlung einberufen lassen, die die Amtszeit der Präsidentin verkürzen und das noch keine sieben Jahre alte Grundgesetz umschreiben soll. Gleichzeitig machen sie sich für den Einsatz von UN-Blauhelmen stark.

Angesichts der jüngsten Ereignisse erscheint auch das Massaker von Esteli, wo die rebellischen Recompas die spektakuläre Besetzung der Stadt mit über 40 Toten und vier Dutzend Verletzen bezahlten, in einem neuen Licht. Wäre die Armee damals nicht schonungslos eingeschritten, hätte der Ruf nach ausländischen Ordnungskräften ein größeres Echo gefunden. In einer Ansprache vor den Offizieren und Soldaten der Luftwaffe sprach Ortega am Freitag gar von einem Komplott der Ultrarechten Nicaraguas mit dem reaktionären Senator Jesse Helms aus North Carolina und einzelnen Dissidenten aus den Reihen der Sandinisten. Die durch das Einfrieren der Wirtschaftshilfe ausgelöste neue Belastungslawine solle laut diesem Plan, so Ortega, Aktionen des zivilen Ungehorsams, Massenproteste und schließlich den Sturz der Regierung provozieren.

Wenngleich der Senatsbeschluß frühestens im September zum Gesetz werden kann, ist er doch ein politisches Signal. Clinton hat gegenüber Nicaragua noch keine eigene politische Linie definiert und überläßt das Feld offenbar einzelnen Spezialisten im Kongreß, die Zentralamerika als ihr Steckenpferd betrachten. Senator Helms, dem die konservative Chamorro noch zu links ist, ist da einer der erfolgreichsten Lobbyisten.

Mit Reizwörtern wie Terrorismus und Drogen ist in den USA allemal leicht Politik zu machen. So wurden nicaraguanische Pässe sowohl in der Wohnung eines der im Zusammenhang mit dem Bombenattentat auf das World Trade Center in New York festgenommenen Arabers als auch in einem geheimen Waffendepot der salvadorianischen Ex-Guerilla in Managua gefunden. In diesem im Mai aufgeflogenen Arsenal fanden sich auch angebliche Pläne für das weltweite Kidnapping von Politikern. Diese stammen vermutlich von der baskischen ETA und sind wahrscheinlich längst obsolet.

Doch die nicaraguanischen Sicherheitskräfte haben bisher nicht genügend Licht in die Angelegenheit bringen können. Für Jesse Helms und Co offenbar Grund genug, Regierung und Armee pauschal als Drahtzieher oder zumindest Förderer des internationalen Terrorismus zu bezichtigen. Chamorro sei nicht schuldlos an ihrer Erpreßbarkeit, erklärte der sandinistische Comandante Bayardo Arce am Wochenende, schließlich hätte sie ohne Not auf die Ansprüche verzichtet, die Nicaragua aus der Verurteilung der USA durch den Internationalen Gerichtshof erwachsen waren. Das Haager Tribunal hatte die Regierung in Washington wegen der Förderung des Krieges und Verminung der nicaraguanischen Häfen zur Zahlung von 17 Milliarden Dollar verurteilt. Ralf Leonhardt

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