piwik no script img

Norbert kommt wieder!

Krieg der Hütte: Oberbaumbrücken-Initiative wehrt sich verzweifelt gegen militanten Ordnungsfanatiker, der ihre Plakate abreißt  ■ Von Liese Kranzbühler

Sonntagabend um halb elf Uhr taucht es wieder auf: das Gespenst von der Oberbaumbrücke. Dort, wo die Spree am dunkelsten ist, an der Ecke Bevernstraße/Gröbenufer treibt es sich regelmäßig herum. Manche haben es dort gesehen, viele reden darüber, aber bisher konnte es noch niemand fassen. Es ist nicht die Rede von einer Aktivistin „revolutionärer HeimwerkerInnen“, die eines der Kemmer-Schiffe an der Baustelle der Oberbaumbrücke umschleicht, auch nicht von einem der anonymen „Wagensport-Ligisten“ auf der Suche nach einem Mercedes der S-Klasse. Das Gespenst hat Namen und Adresse. Es heißt Norbert und wohnt in der Pfuelstraße.

Norbert geht nachts mit seinem Hund durch den Kiez und reißt Plakate ab, die verhaßten Plakate der Linken. Sein bevorzugtes Ziel ist ein kleiner Holzpavillon an der besagten Straßenecke, direkt am Spreeufer, der dort von der Initiative gegen den Ausbau der Oberbaumbrücke vor einigen Monaten in gediegener Fachwerkbauweise errichtet wurde. Am Giebel wurde, liebevoll an handwerkliche Traditionen anknüpfend, der Merksatz „Oberbaumbrücke bleibt Stadtringlücke“ eingraviert. Der nach allen Seiten offene Unterstand sollte den Informationen gegen Autowahn und Schnellstraßenterror ein Dach und ein Zuhause geben, und zwar gerade dort, wo die FußgängerInnen-Behelfsbrücke aus Friedrichshain das Kreuzberger Ufer erreicht.

Seine besondere politische Bedeutung bekommt das Bauwerk dadurch, daß es mit Genehmigung der Kreuzberger Baustadträtin Erika Rombach errichtet wurde, gewissermaßen als Trostpflästerchen für das im vergangenen Sommer von der Brücke geräumte Hüttendorf. Da die Ini ihre Arbeit alles andere als staatstragend auffaßt, stellt gerade der legale Charakter der Hütte eine Komplikation für den Anti-Brücken-Kampf dar. Schon im Frühling hatte die Gruppe eine breit angelegte Aktion gegen den Autowahn auf den Werbe-Großflächen rund um die Skalitzer Straße durchgeführt, gefördert mit bezirklichen Kulturmitteln. Das hatte ihr von der ultralinken „Klasse gegen Klasse“ die Bezeichnung: „vom Staat bezahlte Autonome“ eingebracht.

Ihrem Zweck, die AnwohnerInnen für den Kampf gegen den Autoverkehr zu mobilisieren, konnte die Hütte bisher nicht dienen, denn jedes Plakat wurde innerhalb weniger Stunden wieder abgerissen. Beobachtungen und Recherchen der Ini-Mitglieder ergaben, daß die Zerstörungen das Werk eines einzelnen Menschen sind, der Norbert heißt und im Kiez als Abreißer linker Plakate bekannt ist. Seitdem wurde Norbert zum Dauerthema der wöchentlichen Treffen.

Soll man Norbert anzeigen?

Die Ini-Mitglieder sind ratlos. Soll man ihn anzeigen? Schließlich hat man ja die Legalität auf seiner Seite und Anspruch auf Schutz. Aber das wäre ja absurd, ausgerechnet die Bullen um Hilfe zu rufen! Außerdem gibt es das Gerücht, daß der zuständige KOB selbst ein Sympathisant von Norbert ist. Oder soll man ihm auflauern und ihn zusammenschlagen? Im Prinzip halten die meisten Ini- Mitglieder das für die angemessene Vorgehensweise. Nur findet sich niemand, der oder die bereit wäre, das auch zu machen. So entschied man sich dafür, Norbert zunächst einmal zu fotografieren und die Sache öffentlich zu machen.

Ein erster Versuch vor etwa zwei Monaten mißlang, weil Norbert, nachdem er gestellt wurde, ein derartiges Spektakel veranstaltete, daß die Fotografier-Absichten im Chaos untergingen. Am letzten Sonntag hatte die Ini mehr Glück. Seit zwei Stunden saßen Andi und Mario am Spreeufer auf der Bank, das Teleobjektiv im Anschlag. Gegen halb elf kommt Norbert in Begleitung seines Schäferhundes und einer Nachbarin, die ebenfalls einen Hund ausführt. Beide stehen vor den nach leidvollen Erfahrungen inzwischen angeschweißten Informationstafeln und knibbeln die frisch geklebten Plakate ab, ohne zu ahnen, daß sie ihre Finger nach Ködern ausgestreckt haben. Nun springen Andi und Mario von ihrer Parkbank auf. „Was machen Sie da mit den Plakaten?!“ Es blitzt. Norbert fährt herum. Er zuckt zwischen Flucht- und Angriffsimpuls hin und her, kreiselt um die eigene Achse, springt dem fotografierenden Mario entgegen und haut ihm die klebrigen Plakatfetzen vor die Linse. „Willst du wohl aufhören, mich zu fotografieren?!“ Die Nachbarin steht verunsichert daneben. Norbert schreit jetzt wie am Spieß und läßt dabei eine erschreckende Zahnlücke sehen. Die beiden Ini-Vertreter sind selbst zu überrascht von der Situation, um sich für eine eindeutige Angriffshaltung entscheiden zu können. Unverschämt sei das, was er da mache, und außerdem illegal, und man werde ihm das Handwerk legen. Jetzt sei Schluß. Norbert läßt sich nicht einschüchtern, sondern wird in seiner Panik immer aggressiver. Jetzt leint er seinen Hund los, der aber nur verständnislos um sich guckt und den Schwanz einzieht. Norbert schlägt nach dem Hund, aber der will immer noch nicht „fassen“. Als auch das nichts nützt, holt Norbert mit der Leine nach Mario aus, der weiter den Fotoapparat auf ihn gerichtet hat.

Norbert und die Nachbarin entfernen sich unter Schimpfen und Schreien in Richtung Schlesisches Tor, vorfolgt von Andi und Mario, die wenigstens die Frau in ein Gespräch zu ziehen versuchen. Was sie denn gegen die Ini-Arbeit habe? Die Frau beruft sich auf die Geschichte der Oberbaumbrücke: „Da sind schon Autos drüber gefahren, da wart ihr noch gar nicht geboren!“ Norbert stößt Verwünschungen gegen die Hütte und deren BeschützerInnen aus: „Die wohnen alle in dem bunten Haus da drüben, die hier den Dreck ankleben.“ – „Klar, das ist genehmigt von der Baustadträtin, weil die von der AL ist.“ – „Ich hab' schon mit dem KOB gesprochen, das Ding kommt hier wieder weg, weil das nämlich auf 'ner Grünfläche steht.“ Dann droht er noch, daß er die Hütte niemals in Frieden lassen wird. Demnächst kommt er mit einer elektrischen Säge wieder und sägt sie weg, kündigt er an.

Der Kerl ist zu allem entschlossen

Die beiden Ini-Vertreter schwanken noch, ob sie Norbert weiter verfolgen, mit ihm argumentieren oder ihn angreifen sollen, da flüchtet er plötzlich mit einem Spurt in den U-Bahnhof, seinen gleichmütigen Hund gewaltsam hinter sich herzerrend. Andi und Mario bleiben aufgewühlt zurück. Langsam gehen sie zur Hütte zurück, wo sie die zerfetzten Plakate in trotziger Kleinarbeit wieder an die Info- Wand kleistern. Was kann man denn noch machen? Der Kerl ist zu allem entschlossen! „Der ist einfach zu dumm für uns, dem sind wir nicht gewachsen“, sagt Andi resignierend.

Je weiter Norbert weg ist, desto gewalttätiger werden die Phantasien für den Widerstand gegen den Widerstand gegen den Widerstand: Ein großes Netz müßte vom Dach fallen, die metallene Info- Wand müßte unter Strom gesetzt werden oder, überhaupt, das Dach müßte ihm einfach auf den Kopf fallen. Ach, das sind alles Träume, und bei Licht betrachtet, wollen sie so etwas auch gar nicht. Es gibt sogar einzelne in der Ini, die eine gewisse Hochachtung von dem Desperadotum von Norbert haben.

Auch Andi und Mario sind sich sicher, daß Norbert heute noch einmal wiederkommt. Aber für diesen Abend haben die beiden genug. Die Beweismittel sind gesichert: er ist beim Abreißen fotografiert worden. Näheres wird auf dem nächsten Ini-Abend besprochen. Es findet sich auch sonst niemand, der Lust hätte, das einsame Plakat in der Hütte für den Rest der Nacht zu bewachen. So kommt es, wie es kommen muß: zwei Stunden später ist es wieder abgerissen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen