: St. Florian und der Dinosaurier
Der US-Kongreß einigte sich auf einen Haushaltskompromiß / Gelder für Clintons Sozialprogramme und Energiesteuer werden gekürzt ■ Aus Washington Andrea Böhm
Der Präsident lud potentielle Dissidenten zum Essen, zum morgendlichen Joggen vor laufender Kamera oder zum persönlichen Gespräch ins Oval Office. Am Montag abend hatte sich der Kongreß dann endlich geeinigt. Das Haushaltsdefizit soll in den nächsten fünf Jahren um rund 496 Milliarden Dollar reduziert werden. „Wir glauben, daß es ein guter Kompromiß sein wird, der vom Repräsentantenhaus und vom Senat angenommen wird“, sagte Dee Dee Meyers, die Sprecherin des Präsidenten.
Bill Clinton wird wohl noch weiter joggen müssen. Ein Parlament mit einem Irrenhaus zu vergleichen ist mittlerweile eine überstrapazierte Metapher. Auf den US- Kongreß trifft sie trotzdem zu – spätestens seit Alfonse D'Amato, republikanischer Senator aus dem Bundesstaat New York, bei der Haushaltsdebatte mit einem Dinosaurier auftrat. Diese Lebewesen sind durch Steven Spielbergs neuen Film „Jurassic Park“ Millionen von Amerikanern wieder in ebenso lebendiger wie schauriger Erinnerung. Das weiß Mr. D'Amato, weshalb das mannsgroße Poster eines schnaubenden Tyrannosaurus an seiner Seite klug gewählt war: Es sollte den Staat darstellen – ein nimmersattes, Ungeheuer, gegen das Ritter Alphonse mit Todesmut antrat. Mit einem überdimensionalem Rotstift drosch der Senator auf das Papiermonster ein – selbst für einen Senator eine schauspielerisch erstaunliche Leistung. Für das Niveau der Debatte war sie symptomatisch.
Hinter den Kulissen war das Theater nicht weniger absurd. In Marathonsitzungen versuchte eine gemeinsame Kommission aus Senat und Repräsentantenhaus, jene Versionen des Clintonschen Budgetplans auf einen Nenner zu bringen, die die beide Kammern bereits im Mai respektive Juni mit knappen Mehrheiten der Demokraten verabschiedeten. Eine Endfassung muß nun von Senat und Repräsentantenhaus im Plenum verabschiedet werden, damit Bill Clinton endlich beginnen kann, was er sich vorgenommen hat: die USA wirtschaftlich wieder auf die Beine zu bringen.
Um Stimmen der Republikaner braucht er sich gar nicht erst zu bemühen. Die „Grand Old Party“ votiert zur Zeit routinemäßig gegen Gesetzesanträge der Regierung – und zwar mit einer Fraktionsdisziplin, die an die SPD zu Zeiten Herbert Wehners erinnert. An den geschlossenen Reihen der Konservativen scheiterte bereits Clintons Konjunkturpaket, das der rezessionsgeplagten Ökonomie durch staatliche Investitionen für Bauprojekte, Straßen und Abwasseranlagen einen Anschub verpassen sollte. Spätestens seit diesem Debakel steht die wirtschaftspolitische Debatte in den USA endgültig und ausschließlich unter dem Schlagwort der Defizitbekämpfung – und die Administration hat sich diesem Prioritätendiktat gebeugt. Das Defizit, so Clintons Versprechen, soll verringert werden – was im übrigen nicht heißt, daß die Gesamtverschuldung der USA kleiner wird. Sie wächst nur langsamer.
Nach zähen Verhandlungen, an deren Ende die Gesichtsfarbe mancher Abgeordneter auf Infarktrisiko schließen ließ, zeichneten sich die Linien des Kompromisses zwischen Senat, Repräsentantenhaus ab: Rund 243 Milliarden Dollar soll der Bund durch neue Steuern einnehmen, die zum größten Teil Bürger mit Jahreseinkommen über 115.000 Dollar tragen. Erhöht wird zudem die Körperschaftssteuer. Gleichzeitig sollen weitere 250 Milliarden Dollar eingespart werden. Von den Kürzungen betroffen sind das Rüstungsbudget, Sozialversicherungsempfänger, deren Einkommen ab einer bestimmten Höhe besteuert wird, sowie Alte und Arme, deren Krankenversicherung eingeschränkt wird. Steuererleichterungen für die Einkommenschichten konnte Clinton durchsetzen, doch die ursprünglich geplanten Ausgaben für Lebensmittelmarken, Kinderimpfung und anderen Programmen zur Armutsbekämpfung stutzte der Kongreß auf die Hälfte zusammen.
Das längste und wohl auch absurdeste Scharmützel lieferte man sich zwischen Weißem Haus und Capitol um die Energiesteuer. Statt der ursprünglich geplanten Abgabe, deren Bemessungsgrundlage der Wärmegehalt der jeweiligen Energieträger sein sollte, hat man sich nun auf eine vergleichsweise lächerliche Erhöhung der Benzinsteuer um 4.3 Cent pro Gallone (3.8 Liter) geeinigt. Statt der veranschlagten 23 Milliarden werden nun höchstens fünf Milliarden Dollar in die Staatskasse fließen.
Mit diesem gemeinsamen Plan ist allerdings noch lange nicht garantiert, daß Clinton und die Fraktionsführer der Demokraten bei der endültigen Abstimmung in den Plenas der beiden Kammern die Reihen ihrer Partei ebenso geschlossen halten können wie die Republikaner. Im Repräsentantenhaus war die erste Version des Haushaltsplans nur mit einer hauchdünnen Mehrheit von 219 zu 213 Stimmen verabschiedet worden. Im Senat, wo die Demokraten ohnehin nur eine Mehrheit von 56 zu 44 Stimmen haben, gelang es nur dank des Votums von Vizepräsident Al Gore in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Kammer, den Budgetplan in die nächste Runde zu retten.
Das Hauptproblem ist, wie so oft, ein grundsätzliches: Kongreßabgeordnete beteiligen sich rhetorisch gerne am Kampf gegen Verschwendung und wachsende Staatsausgaben, doch wenn es um konkrete Kürzungsvorschläge geht, verfahren sie nach dem St.- Florians-Prinzip. Da drohen Abgeordnete, dem ganzen Haushaltspaket nicht zuzustimmen, wenn Subventionen für die Bienenzüchter in ihrem Bundesstaat gestrichen werden. Da droht der demokratische Senator aus Nevada, seine Zustimmung zu verweigern, weil Steuererleichterungen für die Unterhaltungsindustrie reduziert werden sollen.
Jim Sasser jedenfalls, demokratischer Vorsitzender des Haushaltsausschusses im Senat, ist entnervt. Sobald man glaube, alle halbwegs unter einen Hut gebracht zu haben, „schiebt wieder einer einen Zettel unter der Tür durch, und will noch mal ein paar Millionen haben. Mir reicht's jetzt.“ Der Kollege aus Oklahoma, der schon seit Monaten querschießt, ist nach Ansicht von Clinton-Beratern nur beleidigt, weil sein Vorschlag für ein überparteiliches „Defizit-Gipfeltreffen“ von der Administration nicht aufgegriffen wurde. Die Kollegen aus Arizona und New Jersey, ebenfalls unsichere Kandidaten bei der Abstimmung, stehen nächstes Jahr zur Wiederwahl an. Da macht es sich schlecht, wenn man zuvor für Steuererhöhungen gestimmt hat.
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