: Operation gelungen, Demokratie tot
■ Nigerias Militärjunta spielt Theater: Eine „Interimsregierung“ ersetzt die versprochene Demokratie
Berlin (taz) – Nigerias Armee regiert nach eigenem Bekunden eigentlich überhaupt nicht gern. Wann immer im bevölkerungsreichsten Staat Afrikas das Militär an der Macht ist, verspricht es hoch und heilig, die Diktatur sei von kurzer Dauer und das Land werde so bald wie möglich zur Demokratie zurückgeführt. Doch noch nie schienen Anspruch und Realität so weit voneinander entfernt wie heute.
Die über die Jahre mehrmals verschobene und schließlich für den 27. August versprochene Übergabe der Macht durch die Militärjunta unter Präsident Ibrahim Babangida an eine gewählte Zivilregierung wird aller Voraussicht nach nicht stattfinden. Statt dessen soll eine nebulös definierte, in Zusammensetzung und Kompetenz noch unbekannte „Interimsregierung“ zu einem noch ungeklärten Zeitpunkt an die Macht kommen – so der Plan des Regimes, dem sich letztes Wochenende auch die beiden zugelassenen Parteien SDP und NRC anschlossen. „Ein ziviler Handschuh für die Faust des Militärs“, titelte spöttisch die Londoner Financial Times.
Die Parteien hatten wenig Wahl. Die entscheidende Verhandlungsrunde fand in einem Klima beispielloser politischer Einschüchterung statt. Die Präsidentschaftswahlen vom 12. Juni waren von der Regierung annulliert worden, sobald der Wahlsieg des SDP-Kandidaten Chief Moshood Abiola feststand. Massenproteste auf Geheiß der in der „Kampagne für Demokratie“ (CD) zusammengeschlossenen Menschenrechtsvereinigungen wurden Anfang Juli mit über 120 Toten blutig niedergeschlagen. Dann begann ein Eiertanz: Am 6. Juli schlug die Regierung zum ersten Mal eine Interimsregierung unter Einschluß beider Parteien vor, was diese am 8. Juli zähneknirschend akzeptierten; daraufhin zog die Regierung am 12. Juli ihren Vorschlag wieder zurück und sprach statt dessen von Neuwahlen – was aber niemand recht glauben mochte. „Bodenlose Unverschämtheit eines machtbesessenen Tyrannen à la Mobutu“, kommentierte die Nigerianische Gemeinde von Berlin; im Land selber wurde Kritik durch Zeitungsverbote und Verhaftungen zunehmend mundtot gemacht.
Die dann am 31. Juli geschlossene Vereinbarung über eine Interimsregierung wurde von Babangida bewußt vage vorgestellt: „Wir sollten die Interimsregierung als Konsensvereinbarung zur Vollendung der Übergangstagesordnung der gegenwärtigen Regierung betrachten, welche durch die imperative Notwendigkeit der Annullierung der Präsidentschaftswahl vom 12. Juni gestört wurde.“ Klarer ausgedrückt: Alles bleibt beim alten, da es ja bereits seit Jahresbeginn einen „Übergangsrat“ zur Implementierung einer „Übergangstagesordnung“ unter einem „Übergangspremier“ gibt.
Der eigentliche Wahlsieger Abiola steht jetzt allein
Daß sich die Parteien dem Regierungswillen beugten, ist angesichts des repressiven Klimas im Land verständlich. Dazu kommt, daß SDP und NRC von der Militärjunta selber gegründet wurden; sie sind Teil des politischen Establishments. Selbst die SDP hat nur sehr zaghaft versucht, ihren siegreichen Kandidaten Abiola als Helden der Demokratie aufzubauen.
Abiola, der sich im Juni, nach der Annullierung der Wahl, zunächst einfach zum gewählten Präsidenten erklärt hatte, steht nunmehr fast allein. Auf die Entscheidung seiner eigenen Partei, an einer Interimsregierung teilzunehmen, konnte er nur noch mit der Beschuldigung des „Ausverkaufs“ reagieren. Seine prominentesten Unterstützer, die Ex-Präsidenten Buhari und Obasanjo, die bisher die Einsetzung Abiolas als Präsident gefordert hatten, haben sich mit Babangidas Interimsregierung abgefunden: „Das Land kann nicht endlos umherdriften“, sagte Obasanjo diese Woche. „Wir müssen irgendwie vorankommen.“
Unterstützung für seine Hartnäckigkeit findet Abiola nur noch bei der Demokratiebewegung. Das Oppositionsbündnis CD hat ihn jetzt aufgefordert, „unverzüglich“ eine Gegenregierung zu bilden, und für den 12. August den Beginn neuer Proteste angekündigt. Dabei soll auch für die seit dem 7. Juli inhaftierten CD-Führer Beko Ransome-Kuti, Gani Fawehinmi und Femi Falana demonstriert werden, die entgegen eines Gerichtsbeschlusses vom 28. Juli noch immer im Gefängnis sitzen.
Daß Massenproteste die Militärregierung in die Knie zwingen könnten, ist jedoch unwahrscheinlich. Das derzeit gültige Hochverratsdekret sieht die Todesstrafe für jede Person vor, „die ein Wort ausspricht, etwas öffentlich kundgibt oder Material veröffentlicht, das zu Gewalt führen oder zur Gewaltanwendung seitens einer Gruppe führen kann“. Die Nigerianer zweifeln allem Anschein nach nicht daran, daß die Regierung es ernst meint: Seit Ende letzter Woche haben über zehntausend Menschen die Metropole Lagos aus Furcht vor Gewalt verlassen; aus den Städten des Nordens werden ethnisch motivierte Fluchtbewegungen gemeldet – hauptsächlich von Angehörigen des Yoruba- Volkes, dem auch Abiola angehört. Dominic Johnson
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