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Beinhaare und Froschschenkel Von Maria Sandas

„Deutsche Frauen?“, sagt mein französischer Kollege Pierre, „die haben ja Haare an den Beinen!“ Aus seinem Munde kommt das einer Beleidigung gleich. „Und manche sooo lang!“ Er schüttelt sich angewidert, als handele es sich um Heuschrecken oder Kakerlaken. Ob er glaubt, die „unrasierten“ Frauen seien etwas Unnatürliches oder wollten ihm sogar was Böses? Ich stelle mir vor, wie er reagieren würde, wenn ich ihn im gleichen Ton auf seine biologischen Gegebenheiten aufmerksam machte: „Iih, dir wachsen ja Haare am Kinn, aber keine auf dem Kopf!“

Doch woher stammt diese starke Emotion, mit der die am Bein und unter der Achsel ungeschorenen Frauen von vielen Männern abgelehnt werden? Mit Erstaunen stelle ich fest, daß diese Ablehnung besonders in Südeuropa verbreitet ist; Skandinavien und Deutschland bilden offenbar eine Art narrenfreier Zone. In Spanien gilt es dagegen geradezu als unanständig, „unrasiert“ zu sein: „Ich habe mir das damals im Urlaub auf Mallorca angewöhnt“, sagen etliche Frauen, die sonst immer selbstbewußt und unbekümmert wirken, „da starren die Leute dich plötzlich so an, wenn du Haare an den Beinen hast, und dann wird es dir plötzlich ganz peinlich.“

Noch schlimmer in Lateinamerika: Viele reißen sich in Ermangelung anderer Mittel mit einer selbst zusammengemixten wachshaltigen Paste die Haare von den Beinen – Hautfetzen inbegriffen. Lieber rot und verletzt als haarig. Da haben wir es in der Bundesrepublik ja noch einfacher: Ich brauche nur die Für Sie aufzuschlagen, schon werden mir die diversen Möglichkeiten unterbreitet: von der schonenden Creme über den speziellen Rasierapparat bis zur kultivierteren Form der Wachspaste, dem einfach zu handhabenden Klebestreifen, der auch die Haarwurzeln mit herauszieht. Und warum das alles? „Makellosigkeit“ ist das Wort, das die Notwendigkeit dieser Prozeduren erklärt.

Im Wörterbuch steht unter „Makel“: Schandfleck, Schande, Fehler. Aber worin liegt nur die Schande, oder der Fehler eines natürlich behaarten Damenbeines? Ganz einfach: Sie sind „nicht weiblich“. Schön müssen Frauen nicht unbedingt sein, dafür aber weich, glatt und geschmeidig. Ach ja, und Männer stark, muskulös und bärtig. So jedenfalls scheint es in Ländern vorgeschrieben zu sein, in denen die Geschlechtsunterschiede besonders betont werden. Das Rasieren versinnbildlicht also den Geschlechtsunterschied und der Geschlechtsunterschied bestimmt schließlich die Rollen?

Doch zurück zu Pierre: Die Vorliebe für unbehaarte Frauen mag für viele Länder gelten, doch es sind die sprachgewandten Franzosen, die ihr am offensivsten Ausdruck verleihen. In Frankreich, wo man ganz unbefangen mit Atomkraft, Gentechnik und Chemie jongliert, im Land der teuersten Parfüme und der avantgardistischsten Mode gesellt sich zur Geschlechterproblematik auch noch die erbarmungslose Dominanz des Äußeren. Im Land der Haute Couture und der verfeinerten Küche sollen natürlich auch die Damenbeine hergerichtet sein wie appetitliche Froschschenkel. Den Frauen sei deshalb gesagt: Sie sollten nicht nur die Haare an den Beinen, sondern – bei diesem Thema – auch auf den Zähnen behalten.

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