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Heiße Noten nicht verboten

Von der Privatidylle zur „sozialistischen Unterhaltungskunst“. Eine kleine Geschichte des DDR-Schlagers  ■ Von Anke Westphal

I.

Fröhlich singend breite Alleen erst aufbauen und dann verliebt „im Lipsi-Schritt“ entlangtänzeln – so oder doch so ähnlich hatte man sich kulturverwaltenderseits wohl Menschen beim Genuß sozialistischer Unterhaltungskunst vorgestellt. Vollkommen im Sinne einer idealtypischen dialektischen Annäherung von ernster und leichter Muse wäre die Umarmung von Hanns Eisler und Gert Natschinski (dem Schlager- und Musicalkomponisten) ausgefallen, hätte es sie jemals gegeben – Volkes Musik, berufen, den Fortschritt teils kämpferisch, teils lieblich zu umtönen. Auch „Links! Links! Links!“ hingen schließlich „Geigen in Zweigen“, war „junge Liebe für junge Herzen gemacht“ (quasi eigens in der intensiv erweiterten Gefühlsreproduktion angefertigt), spielte der „Willy ganz famos, einfach tadellos“ und außerdem „ganz modern“.

Heute lacht man sich kaputt über dieses „ganz modern“, weil es einem im Jahre Vier nach Marx/ Engels/Lenin (in der DDR-Variante) so drollig vorkommt, daß „modern“ um keinen Preis etwas mit Moderne zu tun haben durfte. Ostschlager bedienen hier und da – man denke nur an Susan Sontags Vorstellung von „Camp“ – den Genuß am Scheitern eines überaus ernst gemeinten Versuchs. Daß der mit der wirklichen Sozialisation – vor allem der Westhörer – nicht zu tun haben soll oder kann, macht die Sache allerdings apart. „Camp“ verdankt sich nun mal in erster Linie dem ästhetizistischen Genuß, einem intellektuellen Schnorren an als besonders bizarr bewerteten Geschmackspossen, die ungeahnte Heiterkeit garantieren sollen.

Für diejenigen, die den Versuch noch aus erster Hand erfahren, vielleicht wirklich einmal ernst genommen und sich trotzdem vergnügt haben, ist „Camp“ einfach das englische Wort für „Pionierferienlager“. In dieser Differenz liegt mehr als eine gestopfte Trompete oder ein Xylophon begraben.

II.

Der Lipsi wurde in den fünfziger Jahren als Tanz speziell für den flotten Osten erfunden: „Rumba, Boogie und Cha-Cha-Cha war'n schon so lange da“, trällerte Helga Brauer, neben Bärbel Wachholz ein weiteres würdiges DDR-Pendant zu Caterina Valente, in „Heute tanzen alle jungen Leute“.

Natürlich tanzen sie Lipsi. Auch Freddy Quinn hatte ein Substitut, das Fred Frohberg hieß und östlich der Elbe von Endfünfzigern noch heute als sympathischer als die Vorlage beschwärmt wird. Frohbergs Hawaiigitarren jaulten für „Die Sterne der Heimat“ nicht anders, als es wohl die in Hamburg taten, und seine Mundharmonika in „Zwei gute Freunde“ verströmte einen völlig indifferenten Geschmack von Freiheit und Abenteuer.

Die Sowjetische Besatzungszone, ohne die Sicherheit einer Mauer, tat ihr Bestes, um ein potentiell abwerbbares Publikum zu binden, das tonnenweise Schuhe mit Kreppsohlen, Petticoats und Anoraks von Westen nach Osten schmuggelte. Auf der richtigen Seite der Weltgeschichte fetzten zwar FDJ-Hardlinertrupps alle auf „Rias Berlin“ ausgerichteten Antennen von den Dächern, doch im Lied durften „Die Sterne der Heimat“ noch auf „Japan, Rio und Hawaii“ scheinen, war „Widerstand reine Herzensangelegenheit“: „Wenn man so jung ist wie du / gibt ja das Herz keine Ruh' / und darum ruft es immerzu nach Liiiebe.“ Herz, Schmerz und Jungsein füllten die auf Kulturkommandoebene beargwöhnten Leerstellen im Reproduktionsprozeß noch relativ ideologiefrei aus. Zehn Jahre später sieht das anders aus, doch davon später ...

Die Enttrümmerer Ost projizierten ihre „schönsten Jahre“ jedenfalls auch in die Fünfziger, die nach der Tabula rasa den Aufschwung versprachen, der immer auch einer der sogenannten sekundären Bedürfnisse ist: Freßwelle und Einrichtungsrausch eben – Bewußtsein hin oder her. Der Ost- schlager der Fünfziger simulierte eine überstaatlich heile, private Welt, in der sich kleine Barbaras „Mandelblüten ins Haar“ stecken und „ein Häuschen mit Garten und jeden Tag ein bißchen Sonnenschein“ ersehnen und natürlich einen Mann, der „so reizend wie Papa“ sein muß. Es sind immer „zwei Herzen / die schlagen / und spüren / es ist keine Liebelei“. Die Abgrenzungsbestrebungen der „sozialistischen Unterhaltungskunst“ zum Westen lassen sich irgendwo dazwischen als praktischer, zunehmend rigiderer Übersetzungsversuch der Dialektik von – ganz neuer – Basis und also neu zu schaffendem Überbau lesen. Die Bühne betritt ein Unikum: The DDR-Schlager Featuring The sozialistischen Paradigmen, gewissermaßen befreit „von dem Gerüste seiner bloßen Materialität“ (Hegel).

III.

„Schau“ (später: „urst schau!“), eine souveräne Wortschöpfung der Sechziger, bedeutet soviel wie „toll, super, klasse“. Ein Blick zurück auf Defa-Musikfilme: „Heißer Sommer“ oder „Nicht schummeln, Liebling“ etwa. Schon verdammt „schau“, wie sich Frank Schöbel als Synthese aus Nachwuchskader und adrettem Beatnik, als prima Homunkulus also, auf die 250er MZ aus Zschopau schwingt und dabei von einer Chorus Line außen wilder, innen milder Jungs flankiert wird. Im Jugendclub sind theoretisch „heiße Noten / nicht verboten“. Mann röhrt, soweit es einer sozialistischen Persönlichkeit ansteht.

Lustig oder bloß doof? Exotisch oder „campy“? Warum findet man, östlich sozialisiert, die Ostschlager der Sechziger und Anfangssiebziger nicht mehr so ulkig wie die der Fünfziger? Zu demonstratives Streben nach Autonomie hat stets etwas Peinliches an sich.Immer noch macht, im Lied wenigstens, „Küssen Laune“, noch darf der „Kimono aus Tokio / hell und farbenfroh“ gefallen, aber wirklich großartig findet man nur „das schöne Städtchen / in dem wir wohnen“, denn es „ist noch genauso jung wie wir zwei“. Fortan sollte der DDR-Schlager mehr sein als schnöde Schnulze, nämlich Unterhaltung gleich Kunst plus pädagogisch plus staatstragend – schlichtweg außergewöhnlich in seiner gewollten Unexklusivität „für unsere Menschen“.

Ein bißchen viel planmäßige Entspannung auf einmal; das mußte wohl verdrießlich stimmen. Der Schlager „Du hast gelacht“ von Dagmar Frederic und Siegfried Uhlenbrock hätte zuvörderst einen Aktivistenorden erster Klasse „Anspruchsvoll“ verdient – ein hochambitioniertes Dekor von Melodie und Text wird didaktisch verdickt, will einfach „zuviel“. „Es fängt ja alles erst an / und ich weiß es doch / daß alles nur noch schöner werden kann“, jubelt Rosemarie Ambé in einem Schlager über das Wachsen einer jungen Stadt, in dem automatisch auch die jungen Glücke wie von selbst wachsen. Agitprop-Schlager? Man staunt, „wie im Handumdrehn / so manches neue Haus entsteht“, mit „großen Fenstern“ und „hell“, und „jeder neue Tag bringt Wunder“, wo sowieso – natürlich schwer metaphorisch – „der Tag die Nacht besiegt“, und so weiter.

Unterhaltung war schließlich nicht just for fun, wo der Klassenfeind doch mit gewiefter psychologischer Kriegführung (ungepflegte Beatmusik eben) auftrumpfte. Schicke Anglisierungen mußten zurückgenommen werden; der Sänger Ten Oliver verwandelte sich beispielsweise wieder in den DDR-Bürger Klaus Sommer.

Tanzmusikformationen heißen künftig Die Sputniks oder Die Roten Gitarren. In Susan Sontags Sinn von „Camp“ als Versuch, etwas Außergewöhnliches zu tun, mag der Ostschlager der Sechziger reiner Camp sein, wird die idelogisch unterfütterte ästhetische Übertreibung, die schließlich doch im Handwerk versandet, heute außerdem durch die vollständige und beispiellose Aufhebung ihres gesellschaftlichen Integriertseins doppelt stilisiert, als rein ästhetisches Phänomen „ohne moralische Relevanz“ (Susan Sontag) erlebbar. Ein System verschwindet – nicht nur der künstlerische, sondern vor allem der staatspolitische Versuch dahinter ist gescheitert. Der „Genuß des gescheiterten Versuchs“ trickst die stattgefundene Übertragung jedenfalls noch lange nicht weg.

So erscheinen DDR-Schlager in ihrem ideologischen Narzißmus allenfalls denjenigen als „campy“, die sie unbefangen von einer ebenso latent verbindlichen wie lastenden Biographie als Formenkult zelebrieren, das einmal ernsthaft vergnüglich sein Wollende ins Frivole verwandeln können. Frivol bedeutet unter anderem bedenkenlos. Eben: „Camp“ ist eine „Erlebnisweise“, und das Scheitern eines Jahrhundertversuchs erlebt sich selbst für Nichtsympathisanten komplexer als „campy“. Oder auch: Das (zurückliegende) Sein bestimmt mitunter immer noch das Bewußtsein (welches, weil sekundär, bekanntlich der Trägheit unterliegt), und „Camp“ kann man auch erst mal arglos mit „Ferienlager“ assoziieren.

Die Wahrheit ist: Nichts ist unmöglich, weder die Entthronung der Ernsthaftigkeit noch die des Spiels.

PS: Wenn man so jung ist wie wir. PPS: Und die Nacht so blau!

Erinnerungshilfe und Material für alle Art von Historikern: „Das war der flotte Osten“: „Die Schlager der 50er Jahre“ (Doppel-CD), „Die Schlager der 60er Jahre“ (Doppel-CD), beide DSB/Edel

Das dritte Motto stammt aus dem bemerkenswerten „Merkheft für Autonome. Ein Moneyfest“, 2. erweiterte Auflage, Friedhelm Schrooten & Robert Bosshard/ Agentenkollektiv, Duisburg 1993, 16 Seiten, null DM

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