: Soziale Betriebe als Hoffnungsträger
Das rot-grüne Niedersachsen geht neue Wege in der Arbeitsmarktpolitik: Soziale Betriebe geben Langzeitarbeitslosen eine Chance zur Rückkehr in das Berufsleben ■ Von Dorothee Winden
Berlin (taz) – Selten reisen zu Firmeneröffnungen gleich zwei MinisterInnen der Landesregierung an. Frauenministerin Waltraud Schoppe und Sozialminister Walter Hiller hätten sich auch kaum nach Wolfsburg bemüht, wenn es nicht um ein Vorzeigeprojekt der rot-grünen Landesregierung ginge: die sozialen Betriebe. Sie zielen darauf ab, Langzeitarbeitslosen und anderen Schwervermittelbaren, die Rückkehr ins Berufsleben zu ermöglichen. Soziale Betriebe schaffen Dauerarbeitsplätze mit tariflicher Bezahlung und sollen sich mit ihren Produkten und Dienstleistungsangeboten am Markt behaupten.
Seit Anfang 1992 sind in Niedersachsen 48 solcher Betriebe mit insgesamt über 900 Arbeitsplätzen entstanden. Der jüngste, die „Frauenfirma Tischlerstraße“ in Wolfsburg, beschäftigt 15 Frauen, davon 12 Langzeitarbeitslose. Die Palette der Dienstleistungen reicht von der Vollwertküche über die ökologische Wäscherei bis zum Büroservice.
Ein entscheidender Vorteil der Sozialen Betriebe ist, daß BewerberInnen nicht arbeitslos gemeldet sein müssen und damit eine der für Frauen häufigsten Zugangsbarrieren entfällt. Als arbeitlos gilt, wer ein Jahr und länger nicht erwerbstätig war und dies glaubhaft machen kann.
Noch dominieren bei den reinen Frauenfirmen unter den Sozialen Betrieben die „typisch weiblichen“ Tätigkeitsfelder. Neben Cafeś, Großküchen, Nähereien, Wäschereien und einer Handweberei, in der schwerbehinderte Frauen beschäftigt sind, gibt es noch einen ambulanten Pflegedienst. Das ist nicht gerade ein Spektrum, das man von einer feministischen Frauenministerin erwarten würde. „Im Vordergrund stehen die Fähigkeiten und Interessen der zu beschäftigenden Frauen“, heißt es dazu in einer Broschüre. Geplant sind jedoch auch Frauenbetriebe im gewerblich-technischen Bereich. Hier sollen Frauen unterkommen, die trotz ihrer Qualifikation wegen der hartnäckigen Vorbehalte gegenüber Frauen in sogenannten Männerberufen keinen Job finden. Zugleich soll damit die Akzeptanz von Frauen in technisch-gewerblichen Berufen erhöht werden. Ob der erwünschte Effekt ausgerechnet durch das Etablieren von Nischen zu erzielen ist, sei dahingestellt.
Bei den „gemischten“ Sozialen Betrieben gibt es neben Kantinen, Cafeś und gewerblicher Produktion auch Firmen im Bereich Recycling, Garten- und Landschaftsbau sowie Bau und Bausanierung. Die Rechtsform reicht von der 100prozentigen Tochterfirma eines größeren Unternehmens über den Zulieferbetrieb bis zur gemeinnützigen GmbH.
In der Regel wird bei der Finanzierung der Sozialen Betriebe auf mehrere Finanztöpfe zurückgegriffen. Neben Landesmitteln können Finanzmittel der Bundesanstalt für Arbeit, des Europäischen Sozialfonds, der Kommunen und im Falle von Behinderten auch der Hauptfürsorgestelle einbezogen werden. Bedenken aus der Wirtschaft, daß es durch eine Förderung von Betrieben, die sich am Markt behaupten, zu Wettbewerbsverzerrungen kommt, konnten schnell ausgeräumt werden. Schließlich kann jeder Unternehmer in den Genuß der Fördermittel kommen, wenn er bereit ist, Langszeitarbeitslose dauerhaft zu beschäftigen. Da sich die Produktivität der Beschäftigten Schritt für Schritt erhöht, und damit auch die Selbstfinanzierungsrate des Betriebes, wird die fünfjährige Förderung ab dem dritten Jahr gesenkt. Diese langfristige Förderung ist ein weiteres Novum in der Arbeitsmarktpolitik. Sie ist notwendig, da nur so eine langfristige Integration von Langzeitarbeitslosen sichergestellt werden kann.
Dabei ergänzen sich zwei Typen Sozialer Betriebe: die einen zielen auf eine stabile Stammbelegschaft ab, die anderen können für einen Teil der Beschäftigten als „Durchlauferhitzer“ dienen. Nach einer Phase der Qualifizierung und Stabilisierung können diese den Sprung in andere Beschäftigungsverhältnisse schaffen. Insofern nehmen Soziale Betriebe eine Zwitterstellung zwischen erstem und zweiten Arbeitsmarkt ein.
Zweifellos ist das Konzept der Sozialen Betriebe ein Einstieg in die produktive Arbeitsmarktpolitik; Kritiker wie der Diplom-Sozialwirt Ulrich Crome weisen jedoch auf seinen eher „symbolischen Charakter“ hin. Angesichts von 80.000 registrierten Langzeitarbeitslosen in Niedersachsen sei der Entlastungseffekt durch 900 Arbeitsplätze eher gering. Dennoch: In Berlin ist ein Pilotprojekt eines Sozialen Betriebes bereits angelaufen und auch andere Bundesländer haben Interesse angemeldet.
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