: Eine ganz frühe Scherbe!
■ Beitrag zu Schwachhausens Dorfchronik: Ausgrabung einer karolingischen Wurt am Gete-Ufer
Eine ganz frühe Scherbe!
Beitrag zu Schwachhausens Dorfchronik: Ausgrabung einer karolingischen Wurt am Gete-Ufer
Am Riensberger Friedhof wird tief gebuddelt, um...
Jede Stufe hinab ins matschige Erdreich bedeutet gut 200 Jahre. Schließlich stehen wir auf einem dunklem klebrigem Modder, durch den die Menschen zur Zeit Karls des Großen gestapft sind. Jedenfalls behauptet das Frau Dr. Scholz. Birgit Scholz leitet die Ausgrabungen auf dem parkähnlichen Grundstück an der Schwachhauser Heerstraße, in der Nähe des Riensberger Friedhofs. Sie deutet auf eine schwarze Scherbe, die aus dem Lehm schaut: „Eine ganz frühe Scherbe, spätkarolingisch!“
Die Scherbe wird in eine Plastiktüte wandern und eine Nummer bekommen. Die Tüte kommt zu all den anderen Tüten, in denen Topfteile, ein feiner Läusekamm aus Knochen und ein Pfeifenkopf stecken. In jeder Schicht, in der Frau Scholz und ihre MitarbeiterInnen buddelten, fanden sich Gebrauchsgegenstände und Knochen aus der jeweiligen Zeit. Schmuckestes Fundstück ist sicherlich eine verzierte steinerne Sonnenuhr mit der eingemeißelten Jahreszahl 1697. Dazu kommt ein ganzer Haufen reich verzierter Stücke von Toreinfassungen und Fensterlaibungen, die der sogenannten Weserrenaissance zuzurechnen sind.
hier bitte das Foto
mit der Ausgrabung
Daß man bei der Hausnummer 176 an der Schwachhauser Heerstraße was finden kann, wußte der verantwortliche Landesarchäologe Prof. Manfred Rech schon lange: Denn der „Ulrichshof“ genannte Platz ist einer der vielen hundert Wurten genannten künstlichen Erdhügel, mit denen sich seit tausend Jahren Menschen im Bremer Raum gegen das viele Wasser der Weser und ihrer Nebenflüsse zu schützen suchten. Schwachhausen nämlich war, bevor die Weser gezähmt und die Gegend zum feinen Pflaster Bremens avancierte, ein ausgesprochen nasses und oft überflutetes Land. Trockene Füße boten nur die neun Hofstellen, aus denen das Dorf bestand, und die lagen auf Wurten. Wenn dann die Gete, die im Mittelalter ein richtiger Fluß mit breitem Schilfgürtel war, rauschte und schwoll, holte man das Vieh von den saftigen Weiden und wartete ab.
In einer der überdachten Gruben steht ein junger Mann und zeichnet. „Fotos,“ erklärt Frau Scholz, „verzerren nur.“ Auf einer seiner bunten Zeichnungen sieht man lauter Hufabdrücke von Rindern. Hier gings wohl zur Furt runter, hier war die einzige Möglichkeit, die Gete zu überqueren.
Etwa einen Meter unter der Erde ist ein Kieselweg freigelegt, inclusive eingedrückter Wagenspuren. Hier hat man auch den
rätselhaften Rinderschädel gefunden, der vielleicht als Opfergabe beim Wegebau herhalten mußte. In einer anderen Grube fährt Frau Scholz plötzlich ihre Gäste an: „Vorsicht, treten Sie in den Dreck! Bloß nicht aufs Holz!“ Das ist der Brunnen, genauer der hölzerne Grund des Brunnens, das „Zentrum“ der Hofstelle. Daß er gefunden wurde, ist ein großes Glück. Aus der Untersuchung des „Bodensatzes“ erhoffen sich die WissenschaftlerInnen Erkenntnisse über den Brunnenbauer.
Daß noch so viele Objekte geborgen werden konnten, ist ohnehin ein Glück. Seit 20 Jahren schlummert der Park vor sich hin; nachdem die Ulrichs-Villa 1974 abgebrannt war, hatte die Stadt Bremen das Land gekauft (seinerzeit war dort noch ein Autobahnzubringer im Gespräch). Nun will der Bremer Immobilienhändler Bongartz in dieser Vorzugslage Eigentumswohnungen bauen. Und bevor der Landesarchäologe davon Wind bekam, buddelten schon die Minensucher alles um und um, bis jemand HALT schrie. Seit Mai legt jetzt das Scholz-Team Schicht um Schicht frei, und ein Gutes hat die Sache: Der Landesarchäologe, der die Ausgrabungen niemals aus eigener Tasche hätte bezahlen können, erhielt von Bongartz ein Gutes-Gewissen-Geld in Höhe von 50.000 Mark. Darauf legte der Ortsbeirat Schwachhausen, an seiner mittelalterlichen Geschichte höchst interessiert, nochmal 15.000, und also haben die Ausgräber Ruhe bis zum 20. August. Dann kommen die Bagger.
So furchtbar unzufrieden mit dem Zwangsende des Buddelns wirkt niemand auf der Ausgrabungsstätte; in Wahrheit sind nämlich von sich aus Archäologen nie am Ende. Immer bleibt ein Haufen Erde zurück, der nicht durchgesiebt wurde. Was hält Frau Dr.Schulz eigentlich von der Idee, kurz vor den Baggern alle Amateurarchäologen Bremens einzuladen, mitzubuddeln? Nix! „Wir sind keine Goldgräber!“ sagt sie leicht entrüstet. Für die Archäologin glänzt nur golden, „was noch im Profil steckt.“ Gegen interssierte BürgerInnen, die ihr mal über die Schulter schauen, hat sie dagegen nichts. Da freut sie sich drüber. Burkhard Straßmann
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