: Verpaßte Rendezvous
■ Eine Hommage an den Regisseur Jacques Demy im Arsenal
„Ich war zunächst Student, dann arbeitslos, und schließlich wurde ich Filmemacher. Ich traf eine Filmemacherin; sie schenkte mir Kinder. Nun male ich.“ Mit diesen Worten bekundet Jacques Demy in „Jacquot“, dem Film seiner Frau Agnès Varda, sein Einverständnis mit dem eigenen Leben. Es liegt eine Melancholie in diesen Worten, nicht nur, weil dieser leidenschaftliche Filmemacher in seinen letzten Lebensjahren keine Projekte mehr verwirklichen konnte. Auch weil er weiß, daß sein Leben bald beendet sein wird: „Jacquot“ ist eine unsentimentale Liebeserklärung im Angesicht des Todes. Mit bestürzender Zärtlichkeit und Diskretion erzählt Agnès Varda von den letzten Lebensmonaten, vor allem jedoch von den ersten Lebensjahren Demys. Seine Kindheit erscheint wie eine Schatztruhe, aus der er reichlich Schmuckstücke herausnahm und seine Filme mit ihnen veredelte. Stärker noch als seine Zeitgenossen, die Generation der „Nouvelle Vague“, haben erste Kinoerfahrungen seine eigenen Filme beflügelt. Sie zitieren oder parodieren nicht einfach nur liebgewordene Erzählkonventionen, sondern arrangieren sie auf leichtfüßige Weise neu. So gelang es Demy in „Lola, die blonde Sünderin“ und „Regenschirme von Cherbourg“, ein filmisches Universum ganz eigener Prägung zu schaffen, voll listiger Melodramatik und schwebender Musikalität. Welch eine Überraschung mögen 1964 die „Regenschirme“ für das Publikum gewesen sein: Jedes Wort des Dialogs, selbst der prosaischste Gedanke, wurde gesungen. Die Bewegungen der Schauspieler und der Kamera ordneten sich ganz dem musikalischen Rhythmus unter. Ein neues Genre war geboren. Doch wie zu nennen? Mit dem Begriff „Musical“ war ihm ebensowenig beizukommen wie mit der Bezeichnung „Filmoper“.
Im Gegensatz zu den Regisseuren der „Nouvelle Vague“ hat er sich nicht von dem schillernden Treiben unter grauem Pariser Himmel für seine Filme inspirieren lassen, sondern von den Küstenorten und Hafenstädten seiner Kindheit. Das sind Schauplätze, in denen die Elemente aufeinandertreffen und in denen sich von Weite und Abenteuer träumen läßt. Schauplätze, deren stetes Kommen und Gehen Demys Drehbüchern eine raffinierte Dynamik verliehen. Die Handlung seiner Filme ist in ständiger Bewegung. Es ist ein Kino der Passagen, des Ankommens und des Abschiednehmens, der zufälligen, schicksalhaften Begegnungen und der verpaßten Rendezvous. Demys Kamera folgt den Figuren jedoch nicht nur auf ihren verschlungenen Wegen, die ihnen die Liebe weist. Seine Choreographie eleganter, weitausholender Kamerabewegungen entscheidet geradezu über deren Glück und Unglück.
Kein Zweifel: Jacques Demy glaubte felsenfest an die Magie des Kinos. Nicht nur Cherbourg hat er in seinem berühmten Film in Pastellfarben getaucht, die Farbtöne der Häuserwände, der Tapeten und Kostüme auf das Aberwitzigste aufeinander abgestimmt. Seine ganze Welt ist pastellfarben, offenbart sich in Zwischentönen. Grobe Pinselstriche sind ihr fremd. Kein Wunder, daß Demy dem Gedächtnis der deutschen Filmkritik und der Kinobesitzer weitgehend entschwunden ist. Offenbart sich in diesen hauchzarten Feerien nicht ein bedenklicher Hang zur frivolen Verspieltheit, gar zum Kitsch? Die Leichtfertigkeit täuscht. Seine Geschichten besitzen immer einen doppelten Boden. Die Einberufung trennt in „Die Regenschirme von Cherbourg“ die Liebenden; Demy nutzt diese Gelegenheit, um auf das unpopuläre Thema des Algerienkrieges anzuspielen. „Die blonde Sünderin“ Jeanne Moreau kann auch in den glamourösen Casinos der Riviera nicht der Enge ihrer bürgerlichen Ehe entfliehen. Und in „Ein Zimmer in der Stadt“ verstrickt Demy sein Figurenensemble in den blutigen Arbeitskampf, der Mitte der fünfziger Jahre seine Geburtsstadt Nantes erschütterte. Demy hatte auch als Erwachsener nie die Liebe des kinobegeisterten Kindes für das Happy-End verloren, in seinem filmischen Universum konnte er es sich aber nur mit einem melancholischen Unterton vorstellen. Und als Kind, das in einer Küstenstadt aufwuchs, wußte er, wie unverzichtbar Regenschirme sind. Gerhard Midding
„Hommage an Jacques Demy“ noch bis zum 19.8. im Arsenal, Welserstraße 25, 218 68 48
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