: „Das ist eine Fixerszene par excellence“
■ Doping als Sonderfall des internationalen Drogenproblems, Drogen als Sonderfall des Dopingproblems / Ein Gespräch mit dem Hamburger Drogenexperten Günter Amendt
Günter Amendt, 53, studierter Soziologe und mit dem Aufklärungsklassiker „Sexfront“ in den Siebzigern zu nationalem Ruhm gelangter Autor, gilt seit vielen Jahren als kompetenter Beobachter der weltweiten illegalen und legalen Drogenszene. In seinem Buch „Die Droge Der Staat Der Tod“ (Rasch und Röhring) redet er von einer „Dopinggrauzone“, in der Leistungssportler jenseits von Präparaten, die auf irgendwelchen Listen stehen, mit vollstem Verständnis der Gesellschaft spritzen, Schmerzmittel und Muntermacher einwerfen, schlicht sich dopen.
taz: In Ihrem Buch „Die Droge Der Staat Der Tod“ kommen Sie zu dem Schluß, Doping im Sport sei nichts anderes als ein Sonderfall des internationalen Drogenproblems.
Günter Amendt: Am Anfang sage ich, das Dopingproblem ist ein Sonderfall des weltweiten Drogenproblems. Am Ende sage ich, das Drogenproblem ist ein Sonderfall des weltweiten Dopingproblems.
Nun wird ja die Dopingbekämpfung fleißig propagiert; in Köln kommt Herr Donike kaum mit dem Sichten des Sportlerurins nach. Ist ein Ende der Dopingszene in Sicht?
Solange es Leistungssport gibt, wird es Doping geben. Solange es eine Leistungsgesellschaft gibt, wird es Drogen geben. Also bist du entweder für Leistungsgesellschaft und Drogen, oder du bist gegen Drogen, dann mußt du auch gegen die Leistungsgesellschaft sein, respektive du bist gegen Doping, dann muß du auch gegen Leistungssport sein.
Der Leistungssport ist nicht nur Spiegelbild der Gesellschaft, er dient auch als deren Deckmäntelchen. Könnte man es sich überhaupt leisten, die Formel „mehr Apotheke – mehr Leistung“ offen einzuführen?
Früher oder später wird der Leistungssport zusammenbrechen, weil die Leute sagen: Ich will meine Zeit nicht damit verbringen zu gucken, welches von den gedopten Monstern als erstes im Ziel ist. Die Körper der Sportler sind dann nur noch Hüllen, in denen irgendwelche Substanzen wirken, und ich kann am Ende nur noch sagen: Neuer deutscher Meister ist Bayer Leverkusen.
Manche Experten behaupten, im 100-m-Finale von Seoul 1988 seien außer dem erwischten Ben Johnson bis zu sieben andere Läufer gedopt gewesen. Insofern hätte ja Chancengleichheit bestanden.
Man könnte natürlich ein Szenario entwickeln, bei dem man sagt: Die Menschen sind mittlerweile so kaputt, daß sie sich auch mit Clenbuterol identifizieren, weil sie einfach nur geil darauf sind, daß Clenbuterol schneller macht als ein anderes Mittel. Aber das halte ich doch für eine etwas perverse Denkrichtung. Wenn es wirklich nur noch Chemieroboter wären, würde auch die Identifikation mit dem Sport aufhören.
Nicht nur die Leichtathletik-WM, auch die Bundesliga steht uns ins Haus. Dort herrscht ja nun eine fast heile Welt, in der Drogen – Lothar und seine Freunde werden nicht müde, das zu betonen – keine Macht haben.
Fußball hat bei vielen Menschen auch die Funktion einer Droge. Manche Fans sind quasi Junkies, die haben Entzugssymptome, wenn die Bundesligasaison zu Ende ist. Und wenn ihr Verein verloren hat, sind sie in einem total verzweifelten Zustand, schütten sich oft mit Alkohol zu, dann kommt der Hooliganismus ...
Nicht nur Hooligans entwickeln zum Fußball ein ungeheuer intensives, bisweilen lebensbestimmendes Verhältnis ...
Stimmt. Es ist schon erstaunlich, was in diesem Bereich abgeht, was da für eine Leidenschaft drin ist. Was manche Leute alles an Informationen akkumuliert haben, abrufbar! In welcher Minute wer vor wievielen Jahren welches Tor geschossen hat. Unglaublich! Da muß man sich natürlich fragen: Welche Funktion hat das, wenn man sich seinen Kopf so voll macht mit Trivialscheiße?
Das frage, zum Beispiel, ich selbst mich mit wachsender Besorgnis. Wissen Leute wie ich nichts Besseres?
Es ist auf der anderen Seite auch gefährlich, alles mit Suchtmetaphern zu belegen. Es ist eben eine Leidenschaft. Und wenn das in meinem Leben, in deinem Leben richtig ausbalanciert ist, habe ich gar keine Lust, mich damit moralisierend zu beschäftigen. Wenn du auch in anderen Fragen kompetent bist, gibt es auch ein Interesse, eine Lust am Trivialen. So what?
Sie selbst sind mittlerweile, so heißt es, vom Fußballwahn geheilt. Vermittelt das Spiel Ihnen keinen Kick mehr?
Es vermittelt mir keinen Kick mehr, es ist für mich heute nur noch – wenn es gut ist – ein großes ästhetisches Erlebnis. Bei dieser Sat.1-Sportgeschichte, da gucke ich mir ein, zwei Spiele an, den Rest erspare ich mir. Ich ertrage einige dieser Sprecher nicht, schon gar nicht diesen Ruhrgebietsreporter, der immer noch Fernsehreportagen macht, als würde er am Radiomikrophon sitzen. Ich ertrage diese Stimme nicht.
Der Stuttgarter Manager Hoeneß, der sich für einen Marketing- Experten hält, sagt, es kann gar nichts Besseres passieren, als wenn jeden Tag auf allen Kanälen sein Kopf und eine triviale Geschichte dazu herumgeistert, die mit dem Spiel selbst nichts zu tun hat. Das wollten die Leute und das vergrößere ihr Interesse am Fußball.
Ich bezweifele das. Ich halte das für einen Overkill. Auf Dauer wird das nicht funktionieren, weil es nicht das ist, was den Fußball trägt. Was ihn trägt, ist ein wirkliches Expertentum, ein Interesse am Sport. Und nur bis zu einem gewissen Grad auch das Drumherum. Ich halte Leute wie den Hoeneß für Klugscheißer. Dieser Overkill löst bei vielen Leuten das Gefühl aus, peinlich berührt zu sein. Das kann kurzfristig zwar Erfolg haben, aber langfristig macht es den Fußball kaputt.
Zurück zum Doping: Wo ist die Grenze zwischen therapierender, regenierender Medizin und Drogen/Doping? Anders gefragt: Wenn eine Steffi Graf verletzt ist – und das ist sie ja immer –, wird sie mit Hilfe der Medizin spielfähig gemacht. Ist sie also gedopt?
Bei der Fußball-WM wurde der Mannschaftsarzt gefragt: Wie machen wir das jetzt, die Spieler sind fix und fertig! Und der sagte: Die kriegen Regenerationsspritzen. Bei der letzten WM haben die 1.500 Spritzen bekommen. Das ist für mich Fixen, das ist für mich Doping.
Keiner kommt aber auf die Idee, das entsprechend zu ächten.
Das hat ja noch weitergehende Dimensionen: Das schlägt zurück aufs Publikum. Es ist dieses Image der körperlichen Unversehrtheit. Die Spieler machen Stürze, nach denen unsereins regungslos liegenbleiben würde; dann kommt das vereiste Zeug, und schon rennen sie wieder los. In meiner Jugend gab es noch Reflexe wie bei den Tieren, daß du in eine Haltung gingst, bei der der andere nicht mehr zugeschlagen hat. Heute kriegst du ununterbrochen mit, daß die mit den Baseballschlägern draufdreschen. Wie kommt so etwas? Das Gefühl, daß der Körper ein hochfragiles Konstrukt ist, wird einem unter anderem jede Woche beim Fußball weggenommen.
Der Spitzensport ist ohne Unterstützung aus dem flinken Köfferchen nicht zu betreiben?
Der Toni Schumacher beschreibt ja in seinem Buch, daß er ununterbrochen Schmerzen hatte. Es gab keinen Tag, an dem er nicht mit Schmerzen aufwachte und mit Schmerzen ins Bett ging. Boris Becker sagt etwas ganz Ähnliches. Das sind Dopingsignale. Die spielen alle auf Schmerzmitteln.
Was bleibt denn dann von unserem schönen Sportbegriff?
Wenig. Spitzensport ist ein reines Drogending. Fußballer sagen ja offen, sie spielen nur unter Einsatz schmerzstillender Spritzen. Der Wontorra hat das Wort geprägt: „Spritzig gespritzt“. Das ist eine Fixerszene par excellence. Nirgends wird so positiv über Fixen geredet wie beim Sport.
Deuten wir also den Werbespot „Keine Macht den Drogen“, so sagt er uns: „Nimm kein Kokain“, sondern werde Spitzensportler. Damit wirst du zwar zur wandelnden Apotheke, aber du ruinierst deinen Körper immerhin gesellschaftlich sanktioniert, gefördert und gefeiert?
Genauso ist es. Interview: Peter Unfried
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