: Von den Gemeinden zum Sozialschleicher erklärt
■ Wie den Kriegsflüchtlingen der finanzielle Boden unter den Füßen entzogen wird
„Sehr geehrter Herr T., Sie wohnten vor ihrer Einreise nach Deutschland im ehemaligen Jugoslawien, jedoch war Ihre Wohnregion weder mittelbar noch unmittelbar von Kriegsereignissen betroffen. Für Ihre Ein – bzw. Weiterreise nach Deutschland bestand demnach kein zwingender Grund, der für Ihre persönliche Sicherheit von prägender Bedeutung war. Ihr Entschluß dennoch nach Deutschland einzureisen (...) steht daher im Zusammenhang mit dem vordergründigen und somit prägenden Motiv, hier von Sozialhilfe leben zu wollen.“ Für den serbischen Deserteur Ivan T. bedeutet der Bescheid des Sozialamtes Berlin- Prenzlauer Berg das Ende der einjährigen Sozialhilfe. Mit einem Textbaustein verhängte das Amt den Frieden über Ex-Jugoslawien und erklärte T. zum Sozialhilfeerschleicher, ungeachtet der Duldung der Ausländerpolizei.
Auch Flüchtlingen aus dem umkämpften Bosnien ergeht es ähnlich. Mit derselben Begründung wie die Berliner Kollegen verweigerte die Stadt Frankfurt, wo 15.000 Flüchtlinge leben, einer fünfköpfigen Flüchtlingsfamilie die Sozialhilfe. Erst der Hessische Verwaltungsgerichtshof brachte letzte Woche Abhilfe: die Stadt wurde zur Zahlung verdonnert.
Beide Fälle werfen ein Schlaglicht auf eine Situation, die mit jedem Tag, den der Krieg in Ex-Jugoslawien dauert, unerträglicher wird: die Bürgerkriegsflüchtlinge müssen je nach zufälligem Wohnort in Deutschland und je nach rechtlichem Aufenthaltsstatus um ihren Lebensunterhalt kämpfen. Doch lange bevor Flüchtlinge von Ausländerbehörden in die Umlaufbahn juristischer Teufelskreise katapultiert werden, haben unwillige Sozialbehörden und überforderte Kommunen sie in ein Labyrinth von Ermessenentscheidungen und Willkür geschickt. Der Irrweg endet häufig im sozialen Niemandsland. Von Bundesland zu Bundesland, häufig von Gemeinde zu Gemeinde unterscheidet sich, ob und welche Leistungen die Sozialämter übernehmen.
Am ungesichertsten sind ausgerechnet diejenigen, die in ihrer Heimat am stärksten gefährdet sind: die Flüchtlinge aus Bosnien und Herzegowina. Sie konnten überhaupt nur – wenn sie nicht zum Aufnahme-Kontingent der Bundesregierung gehörten – auf persönliche Einladung von Freunden oder Verwandten einreisen. Damit haben sich die Gastgeber verpflichtet, sämtliche Kosten zu übernehmen – vom täglichen Lebensunterhalt bis zur medizinischen Versorgung. So wurden die Wohnungen der jugoslawischen Gastarbeiterfamilien zu den größten Flüchtlingslagern der Republik. In Bayern, Baden-Württemberg und Frankfurt, den Hochburgen der jugoslawischen community, fanden 80 Prozent aller Flüchtlinge private Aufnahme, weit mehr als 100.000. Was jedoch einige Monate funktionieren kann, bringt viele Gastgeber an den Rand des finanziellen Ruins. Hinzu kommen unerträgliche emotionale Spannungen. Beengte Wohnverhältnisse führen auch zu Konflikten mit Nachbarn und Hausbesitzern. Rosi Wolf-Almanasreh, die Leiterin des Frankfurter Amtes für Multikulturelle Aufgaben, beobachtet, das viele Gastgeber mit der langandauernden Situation überfordert sind: „Jetzt schaffen es die Leute einfach nicht mehr.“ Immer mehr Flüchtlinge halten diese Situation nicht mehr aus. Sie lassen sich in eines der überfüllten Heime einweisen, sind auf Sozialhilfe angewiesen oder leben auf der Straße.
Inzwischen wird in Hessen – ebenso wie in Brandenburg – darüber nachgedacht, die Asylunterkünfte, die nach der Neuregelung des Asylgesetzes eine Unterbelegung verzeichnen, für die Kriegsflüchtlinge zu öffnen. Doch diese Idee stößt auf ein finanzielles Kompetenzgerangel zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, das immer mehr auch den aufenthaltsrechtlichen Status der Flüchtlinge bestimmt: Bislang nämlich bleiben die Städte und Gemeinden fast völlig allein auf den Kosten sitzen. Der Bund fühlt sich nur für die kleine Gruppe der Kontingentflüchtlinge zuständig.
Eine gerechtere Verteilung der Finanzlasten scheiterte auch am Einspruch der nördlichen Bundesländer, die mit den Flüchtlingen aus Ex-Jugoslawien nicht so stark konfrontiert werden, wie die südlichen Bundesländer. Schon haben Gemeinden angedroht, entgegen ihrer rechtlichen Verpflichtung, niemand mehr aus den Kriegsregionen aufzunehmen. Hannover hat die Drohung letzte Woche wahrgemacht. Wohl eher, um Gelder von Bund und Land zu erzwingen. Andere Kommunen ziehen eine andere Notbremse: sie drängen die Flüchtlinge in Asylverfahren – dann sind sie aus dem Schneider, Bund und Länder haben den finanziellen Schwarzen Peter.
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