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Unser schauderhafter Alltag

■ Alle Künste auf einmal im Wehrschloß: das Festival „OKS-Syndrom“

Eine gips-bleiche, klapprige Jammer-Gestalt hängt vom Giebel. Und drunten im Hof, schon abgestürzt, da krümmt sich jemand. Als wären sie vom Himmel geregnet, wie arme Tropfen, und unten ohne Leben aufgeschlagen. Ein anderer, der das wohl ansehen mußte, hat sich vor Schreck die Latte durch's Gehirn gesteckt. Von vorne nach hinten. Hier kommt jede Hilfe zu spät.

Wer am Samstag und Sonntag dem Aufruf zum OKS-Syndrom ins Wehrschloß gefolgt war, konnte leicht im Spannungsfeld zwischen Grusel und Ästhetik verloren gehen. Da inszenierten die VeranstalterInnen vom espy la kopa-Verein ein zweitägiges Kunst- Musik-Film-und-Klang-Happening. Ganz im Sinn des eigenen Namens, der den Alltagsschauder vorm Leben bereits in sich trägt: von hinten nach vorn gelesen aufersteht aus dem fremdartigen espy-la-kopa-Klang wahrhaftig die Apokalypse.

Der war immerhin eine ganze Gruft-Kapelle geweiht. Im letzten Winkel, zweifach hinter schwarzem Plastik verhängt, mußte sie der Geisterhaus-Verborgenheit erst entrissen werden. Dann stand der schrecklichen Andacht nichts mehr im Weg. Unter abgeschlagenen Flaschenhälsen, gebündelt und damokleshaft absturzbereit über dem blau-grünen Scherben- Altar befestigt, konnte davor in Endzeit-Fantasien schwelgen, wer wollte - und ahnen, wie die jammervolle Bleichgestalt vom Dach sich gefühlt haben mußte.

Derartiger Hingabe ans Schauderhafte stand am Samstag wenig entgegen: Die Rauminstallation mit Delphinen vielleicht, die im Plexiglas-Aquarium flippernd ihre Wasserharmonien sangen, von unbekannter Hand erschaffen, wie das allermeiste, was zu bewundern war. Oder die liebevoll papierweiß tapezierten Wände und die Fenster, transparentpapierbeklebt, die dem ramponierten Jugendzentrum eigenartigen Zauber verliehen. Als lauere die schöne Muse noch auf den Erweckungskuß, während aus den Ecken schon der Schauder lugt und hämisch ruft, daß morgen alles längst vorbei sein wird. ede

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