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Töte den Affen!

Erfolg der kleinen Kultur: Besucheransturm beim Social-Beat-Literatur-Festival / Literarische Widerstandszentren in der ganzen Republik  ■ Von Detlev Kuhlbrodt

Nach vier wilden Tagen und Nächten ohne allzuviel Schlaf ging das „Social-Beat-Literatur-Festival“ unter dem schönen Motto „Töte den Affen!“ irgendwann im montäglichen Morgengrauen zu Ende. Dreißig weitgehend unbekannte AutorInnen v.a. aus seltsamen westdeutschen Städten wie „Hanau“, „Bochum“, „Göttingen“, „Gießen“, „Braunschweig“, „Hannover“ oder „Frankfurt“, die auf fünf extrem gut besuchten Kneipen-Lesungen zwischen Prenzlauer Berg und Mitte gelesen hatten, rieben sich erstaunt über ihren Erfolg die Augen.

Während die bildschirmgestützte Analphabetisierung auf allen Kanälen noch bejammert wird und die Rede von der gesellschaftlichen Bedeutungslosigkeit von Literatur jedem bezahlten Schreiber leicht von den Lippen geht, haben sie längst an allen möglichen Orten Widerstandszentren gebildet. „Jeder macht inzwischen seine eigene Literaturzeitung“, meint Thomas Nöske. Bundesweit gebe es etwa 1.000 verschiedene, die im Handverkauf oder über den Versand vertrieben werden. Einige heißen „Cocksucker“, „Kopfzerschmettern“ oder „Bulletten Tango“, andere „3-silbig“ oder auch ein bißchen schüchtern „der Störer“. Manche sehen aus wie Schülerzeitungen, andere wie ambitionierte Kunstzeitschriften. Manche kosten 2, andere wie das Berliner „Warten“-Magazin 30 Mark.

Zusammen mit Jörg Andr Dahlmeyer brachte Nöske die jungen AutorInnen und MacherInnen dieser Zeitungen zum „Social- Beat-Festival“ zusammen. An den Nachmittagen stellten sie auf dem Gelände des Pfefferbergs ihre Publikationen vor und dichteten zuweilen auch live. Wörter und Sätze schwirrten durch die Räume: „Dat is also alles selber kopiert und abgeheftet“, meinte stolz Jens vom Bochumer Magazin „3-silbig“, der mit seiner Freundin Caren und zwei Hunden mit einem Wohnmobil gekommen war. Beide waren zuvor noch nie in Berlin. Das war weit weg; noch weiter entfernt war die DDR. „Als ich klein war, wußte ich gar nichts davon. Da hab' ich gedacht, weil das Ruhrgebiet im Westen liegt, muß man Westdeutschland auf die Postkarte schreiben“, sagt Caren. Am Stand nebenan erklärt jemand, daß man „mit Antirassismus“ leicht Räume für Lesungen bekommen könne und die Veranstalter, um große Worte nicht verlegen, noch einmal sagen, daß der Social-Beat „den Blick auf die Realität schärfen, politisches Bewußtsein vermitteln, Kunst und Politik zusammenführen“ soll. „Mittendrin, aber voll im Geschehen“ bezieht man sich auf die amerikanische Beatliteratur der 50er und 60er Jahre.

Ob man damit nicht ein bißchen altmodisch sei, schließlich stünde die Jugend doch eher auf Techno? – Nein, „der Technorhythmus ist kein lebendiger Rhythmus, der repräsentiert nicht den Speed of Life, während der Beat das schon tut“. Doch Beat käme nicht vom Rhythmus, sondern von Schönheit, weiß der Alltagsforscher Michael Rutschky, der gutgelaunt im „Schoko-Laden“ sitzt und beiläufig bemerkt, daß in Deutschland doch eigentlich viel mehr Kinder ertrinken als totgefahren werden würden. Ein wenig streitet er sich über dies und das mit dem Apo- Veteranen Hadayatullah Hübsch, der unglaublicherweise immer noch durchgehend pechschwarzes Haar hat. Später auf der Bühne singt und brüllt und flüstert beseelt der Beatveteran im Pakistan-T- Shirt über „schöne Verlierer“, „Faschobabys“ und anderes, so emphatisch, als sei er immer noch in den sechziger Jahren. Robsie Richter, der urst sympathische „Undergrounder“ und „Hard-Core-Metalschreiber“ aus „Atomic- Hanau“, läßt sich von einer Gitarre begleiten, Michael Wildenhain präsentiert (wie alle anderen auch u.a.) einen sehr genau beobachteten antirassistischen Text; Christian C. Kruse hat „gerade einen geraucht“ und „weiß noch nicht, ob's gut kommt“. Irgendwann, im ACUD, mischt sich der Sänger der Ostband „Ich-Funktion“ mit eigenen Texten in die Lesung, irgendwann im ziemlich geleckten „Uebereck“ („da geh ich nicht rein“), versucht sich „der Wahnfried“ aus dem Publikum heraus mit einer Gegenveranstaltung.

Die ZuschauerInnen sind begeistert. Viele halten bis zum Ende durch; drei, vier, fünf Stunden. Bis die Veranstalter – nun doch sehr betrunken – sich in Gedichten über Betrunkenheiten verhaspeln.

Gewalt, Einsamkeit, Entfremdungen, alltäglicher Rassismus, kleine Fluchten in Liebe, Sex, Bier, Tequila, Wein und Hasch dominieren die Social-Life-Erzählungen und Gedichte der jungen AutorInnen, die gerade deshalb etwas von ihrer und der Wirklichkeit der Städte erzählen können, weil sie größtenteils auf narzißtische Künstler- und Kunstmanierismen verzichten. Der rege Publikumszuspruch, den nicht nur das Literatur- sondern letzten Donnerstag auch „Jochens Lieblingsfilme vom Hamburger No-Budget-Filmfest“ im proppevollen Freiluftkino Hasenheide hatte, deutet darauf hin, daß die Zeit für eine kleine Kultur so gut wie selten ist.

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