piwik no script img

Klassen überfüllt, aber Schulsenator tut nichts

■ In den den zehn Oberstufenzentren stehen Hunderte arbeitsloser Schulabgänger nach Vollzeitlehrgängen an

In Berlin kündigt sich ein schulpolitisches Desaster an. Der Schulsenator ist offenbar nicht in der Lage, genug Ersatzlehrgänge für SchulabgängerInnen anzubieten, die bislang noch ohne Lehrstelle geblieben sind. Bei einer Informationsveranstaltung am Oberstufenzentrum Handel in Kreuzberg wies die zuständige Lehrkraft, Lutz Sobner, gestern rund 300 arbeitslose Jugendliche mit den Worten ab: „Leider bekommen Sie hier keinen Schulplatz. Die Klasse ist voll.“ In den „VZ 11“ genannten Vollzeitlehrgängen sollen HauptschülerInnen, die noch ohne Lehrstelle sind, die Chance für einen erweiterten, sprich berufsvorbereitenden Abschluß bekommen.

Die Lage an den zehn Berliner Oberstufenzentren verschiedener Berufssparten unterscheide sich nicht nennenswert, sagte der Schulleiter des Zentrums für Ernährung und Hauswirtschaft, Günter Labitzke, der taz. Bei ihm stehen 700 BewerberInnen nach 52 bereits vergebenen Plätzen an. In der Senats-Schulverwaltung herrscht derweil Unkenntnis über das fehlende Angebot. Man sei noch mitten im Verteilungsverfahren, sagte der zuständige Schulrat Dieter Wittke der taz. Kommende Woche sollen die überzähligen SchülerInnen im Rahmen einer „Clearing-Konferenz“ notfalls auf andere als die gewünschten Berufssparten verteilt werden.

In den Oberstufenzentren räumt man diesem Verteilungsverfahren wenig Chancen ein. „Man muß kein Prophet sein, um sagen zu können, daß die meisten keinen Schulplatz bekommen werden“, sagte Schulleiter Labitzke. Seine Kollegen in Kreuzberg übten scharfe Kritik an Schulsenator Jürgen Klemann (CDU). Er wisse seit Wochen von dem drastischen Überhang an BewerberInnen für die berufsvorbereitenden Ersatzmaßnahmen. Schon im letzten Jahr habe eine „krasses Mißverhältnis“ von 3.643 KandidatInnen und lediglich 920 Plätzen bestanden. Der Senator hätte andere „Kapazitäten schaffen müssen“, etwa mehr Berufsfachschulen für RealschülerInnen.

Der Schulsenator war noch im Juni nur von „einem leicht steigenden Bedarf an Vollzeitplätzen (VZ 11)“ ausgegangen. Auf eine kleine Anfrage der Grünen Sybille Volkholz antwortete er, der Bedarf werde voraussichtlich gedeckt. Die anhaltende Krise am Berliner Lehrstellenmarkt mit bislang über 6.700 nichtvermittelten Jugendlichen steht dem entgegen.

Vollkommene Ratlosigkeit herrscht in der Schulverwaltung offenbar auch, wie die Realschulabsolventen untergebracht werden sollen. „Det weeß ick ooch nich“, sagte der zuständige Beamte Klemanns, Dieter Wittke.

Bei der Info-Veranstaltung im Oberstufenzentrum Handel forderte Schullaufbahnberater Wilhelm Schröder-Bonhoff gestern die jungen Leute auf, Widerspruch gegen die Ablehnung eines Schulplatzes einzulegen. Nur dann habe „diese Schule die Möglichkeit, sich an den Schulsenator zu wenden“, sagte er. Eine Beraterin des Arbeitsamtes klärte die SchülerInnen auf, es gebe „ganz vereinzelt noch Lehrgangs- und sehr vereinzelt noch Ausbildungsplätze“. Die Schüler reagierten konsterniert bis sauer. Eine „Schweinerei“, meinte Tanja von der Moses-Mendelsohn- Gesamtschule im Tiergarten. „Ein doofet Jefühl is det, wie abjeschoben.“ Christian Füller

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen