piwik no script img

UKE: Staatsanwalt blieb untätig

■ Ermittlungsbehörde wußte seit Jahren vom Strahlenskandal an der Uniklinik / Schon fast 200 Betroffene haben sich gemeldet   Von Sannah Koch

Noch eine Stelle, die schon seit langem von den Behandlungsfehlern in der UKE-Strahlenabteilung Kenntnis hatte, aber dennoch untätig geblieben ist: Die Hamburger Staatsanwaltschaft bestätigte gestern, daß sie bereits seit eineinhalb Jahren von den Vorwürfen gegen die Radiologie der Uniklink weiß. Damals habe sie wegen des Todes eines Mannes ermittelt, der im März 1990 nach einer Darmkrebsoperation im UKE bestrahlt worden und drei Monate später an einer Leberfunktionsstörung gestorben war. Die Ermittlungen wurden 1992 eingestellt, obwohl zwei Mediziner unmißverständlich auf die Verstrahlung des Patienten hingewiesen hatten.

Hinweise, die damals bei der Kriminalpolizei sehr wohl wahrgenommen worden waren. Die Ermittlungsakte wurde nämlich mit dem Vermerk eröffnet, der Chef-Pathologe des AK Barmbek, der die Obduktion des Patienten vorgenommen hatte, gehe von einem „Fremdverschulden“ aus. Der Mann, so wird der Pathologe in der Akte weiter zitiert, sei an einer Behandlung gestorben, die nicht hätte durchgeführt werden dürfen. Auch der zweite Gutachter sprach eine deutliche Sprache. Er hielt fest: „Nach unserer Meinung ist die Leberfunktionsstörung Folge der durchgeführten Chemo/Radiotherapie“. Verfasser dieser Expertise: Der Heidelberger Strahlenexperte Professor Wannenmacher, einer der beiden Gutachter, der dem UKE-Chefarzt Hübener jetzt im Auftrag der Hamburger Wissenschaftsbehörde nochmals ein vernichtendes Zeugnis ausgestellt hat.

Völlig unverständlich bleibt angesichts dieser Tatsachen, warum die Staatsanwaltschaft die Akte dennoch im Mai 1992 geschlossen hat. Es habe damals keine Anhaltspunkte für ein Fremdverschulden gegeben, erklärte ein Sprecher gestern. Oberstaatsanwalt Lothar Klemm bestätigte aber, daß die Akte jetzt nochmals überprüft werde. Ergäben sich nun doch Hinweise auf Fremdverschulden, würden die Ermittlungen wieder aufgenommen. Ein weiteres Verfahren gegen den Radiologie-Chefarzt Hübener – der inzwischen suspendiert wurde und nach einer gestrigen Ankündigung von Gesundheitssenator Runde vom Entzug der Approbation bedroht ist - wegen fahrlässiger Tötung oder Körperverletzung mit Todesfolge könnte die Folge sein.

„Da haben Ärzte einmal Alarm geschlagen, und es passiert doch nichts“, beklagt Patientenanwalt Wilhelm Funke, der die Familie des Verstorbenen vertritt. Für ihn ein deutliches Indiz dafür, daß die Schaffung von Stellen für Fach-Staatsanwälte dringend erforderlich ist. Medizinische Laien seien als Ermittler, so Funke, von der Materie häufig überfordert.

Unübersichtlich bleibt weiterhin, wieviele ehemalige UKE-Patienten an Strahlenschäden leiden. Wilhelm Funke wurde bislang von über 100 Menschen mit der Schadensregulierung beauftragt, darunter auch von 20 Patientinnen aus der UKE-Frauenklinik. Bei der AOK haben sich bis jetzt zwölf Versicherte, bei der DAK zwölf und beim Verband der Ersatzkassen 20 Patienten gemeldet, die befürchten, im UKE verstrahlt worden zu sein. Vor zwei Wochen hatten überdies 48 Menschen bei der Wissenschaftsbehörde Antrag auf Akteneinsicht und Überprüfung des Verfahrens gestellt, darunter acht Patientinnen aus der Frauenklinik.

Klarheit gibt es auch noch nicht über mögliche „systematische Behandlungsfehler“ bei Prostata- und Blasenkrebs. Im UKE läuft dazu in den nächsten zwei Wochen eine interne Untersuchung über den Zeitraum 1986 bis 1990. Auch einen kommissarischen Leiter, der nach der Suspendierung von Hübener vorübergehend die UKE-Radiologie weiterführen soll, haben UKE und Behörde bislang noch nicht gefunden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen