piwik no script img

Außenseiter mit Gartenzwerg

■ Seit zwei Jahren leben Rollheimer mit Mietvertrag in der Wuhlheide / Pacht und Nebenkosten haben ihren Preis / Pankow bekommt den zweiten offiziellen Stellplatz

Johlend kraxeln Kinder auf Gerüsten herum, klettern die Leiter hoch und sausen die Rutschbahn wieder herunter. Mitten im Grünen fühlen sie sich sichtbar wohl, Straßen brauchen sie auf ihrem Weg nach Hause nicht zu überqueren. Ihr Spielplatz liegt direkt am Eingang der Siedlung, in der auf den Wegen laut Mietvertrag höchstens 7,9 Kilometer pro Stunde gefahren werden dürfen. Diese Beschränkung haben sich die rund 90 Bewohner selbst auferlegt: die Rollheimer in der Wuhlheide.

Seit zwei Jahren leben sie mit Mietvertrag in ihren Bau- und Zirkuswagen, den alten Baracken und in Bussen auf dem Gelände des ehemaligen Pionierlagers „Karl Marx“ in Köpenick. Dadurch haben sie eine feste Anschrift – Bedingung, um einen Job zu ergattern oder um Sozialhilfe zu beantragen. Die Wuhlheide ist erster offizieller Standort für Wagenburgler, in Pankow entsteht der zweite.

„Diese Sicherheit, daß man erst mal dableiben kann, ist unheimlich wichtig“, steht das junge Pärchen gegenüber dem Spielplatz voll hinter dem Projekt. Keiner richtet sich Wagen schön her, wenn unklar ist, wann die Gruppe verschwinden muß, sind sich die beiden sicher, die sich Bubi und Kerze nennen und vor deren Wagen ein Gartenzwerg steht. Daß sie monatlich 60 Mark Pachtzins an den Bezirk sowie Strom-, Wasser- und Müllgebühren zahlen, nehmen sie dafür in Kauf. Drei Wagen haben sich Bubi und Kerze inzwischen hergerichtet: Das Wohnzimmer ist holzgetäfelt und wirkt eher bürgerlich, der Fernseher steht neben dem Bett.

Das eigentliche Leben jedoch findet nicht in den Wagen statt. „Die meisten wollen soviel wie möglich draußen wohnen“, meint Werner, bei dem die organisatorischen Fäden des Dorfes zusammenlaufen. „Beauftragter für die Erarbeitung eines Konzeptes für die Wagendörfer“ nenne er sich offiziell, so der gelernte Zimmermann, „ich bin hier das Mädchen für alles“. Zwischen dem Bezirksamt als Vermieter und den Rollheimern fungiert er als „treuhänderischer Beauftragter“, kurz: Er treibt die Miete ein. „Die Zahlungsmoral ist etwas durchwachsen“, drückt er sich vorsichtig aus, zahlt die Rechnungen aber pünktlich, „da bin ich preußisch genau.“

Davon ist Sigurd noch nicht ganz überzeugt. Er hält die Verhandlungsposition für besser, „wenn die erst mal keinen Pfennig sehen“. Vor allem Wasser will er nicht zahlen, mit dem der Boden feuchtgehalten werden muß. „Daß hier sonst giftiger Staub rumfliegt, hat uns doch vorher keiner gesagt“, kritisiert er, schwört jedoch auf das Leben in der Wagenburg: „Ich habe die Schnauze voll von Mietwohnungen, wo man den Fernseher lauter stellt, wenn nebenan die Frau verdroschen wird.“

Da stimmt er mit Bubi und Kerze überein: „Hier haben wir Nachbarn, die bei einer Fete rüberkommen und nicht die Polizei rufen.“ Ein Mitbewohner habe sein Leben stets in Erziehungsheimen und DDR-Gefängnissen verbracht, weiß Kuba-Johnny zu berichten: „Seit er hier lebt, ist er zum ersten Mal zwei Jahre in Freiheit.“

Daß von Rollheimern mehr gestohlen werde, bezeichnet Kröten- Frank als „blödes Vorurteil“. Er selbst arbeitet als Altbausanierer, „ich schnorre nicht, und klauen gibt's schon gar nicht“. Wenn einer erwischt werde, gerate gleich das ganze Dorf in Verruf, ärgert er sich, „wenn in Neukölln drei Typen etwas klauen, zieht keiner Rückschlüsse auf das Wohnsilo“.

Im Rathaus wird wohlwollend beobachtet, daß sich die oft so verschrienen Wagenburgler in der Wuhlheide etablieren: Ziel sei es, schrieb ihnen Wirtschafts- und Finanzstadtrat Wolfgang Göricke, „eine selbständige und eigenverantwortliche Verwaltung in Form eines Vereines der Rollheimer zu schaffen, mit dem ein entsprechender Vertrag abgeschlossen werden kann“. Christian Arns

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen