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■ Bosnien aus Londoner PerspektiveDer Irma-Tag

Berlin (taz) – Ganz Bosnien wird unter den zynischen Augen eines untätigen Europa massakriert. Ganz Bosnien? Nein! Ein kleines Mädchen hat es geschafft, der Belagerung Sarajevos zu entkommen und in Großbritannien medizinisch behandelt zu werden – und damit im Alleingang das schlechte britische Gewissen zu beruhigen. Es handelt sich um die fünfjährige Irma Hadzimuratović, die am Montag bewußtlos in einem Londoner Krankenhaus und auf den Titelseiten der Londoner Presse ankam.

„Sarajevos Agoniesymbol fliegt ein“, jubelte der sonst seriöse Independent und hob hervor, die Einreise sei auf „die persönliche Intervention von John Major“ erfolgt. Der britische Premierminister habe extra seinen Urlaub unterbrochen, um sein Außenministerium – das bosnischen Flüchtlingen de facto die Tür versperrt hat, indem es die Einreiseerlaubnis von der mangels britischer Botschaft in Sarajevo nicht möglichen Ausstellung eines Visums abhängig macht – mit Irmas Evakuierung zu beauftragen.

Irma hatte am 30. Juli bei einem serbischen Artillerieangriff ihre Mutter verloren und lag danach schwer verwundet in einer Klinik.

Doch am Montag konnte der britische Außenminister Douglas Hurd seinen Nato-Kollegen in Brüssel von dem very sick little girl erzählen und sie gegen eine Nato-Militäraktion instrumentalisieren: „Sie müssen diese humanitäre Anstrengung bedenken, wenn Sie den Nutzen von Luftangriffen abwägen.“

Hilfsorganisationen äußerten sich kritisch. „Es gibt 350.000 Leute in Sarajevo, um die wir uns auch kümmern müssen“, erinnerte der jetzt für die WHO in Zagreb arbeitende ehemalige Gesundheitsbeauftragte der britischen Regierung, Sir Donald Acheson. Die Gesellschaft für bedrohte Völker fragte, „was mit den anderen Tausenden schwerverletzten, entkräfteten, arm- und beinamputierten Kindern von Sarajevo und Bosnien geschehen soll“; schließlich trage London durch seine interventionsfeindliche Haltung „die Verantwortung dafür, daß noch immer auf Sarajevo geschossen wird“. Der Irma-Fall habe die öffentliche Aufmerksamkeit abgelenkt, schrieb die GuardianKolumnistin Maggie O'Keane: „In Bosnien ist jeder Tag Irma- Tag.“

Für die kleine Irma hatte sie bitteren Trost übrig: „Irma Hadzimuratović, wenn Du heute stirbst, erinnere Dich, daß Du es bis auf die Titelseiten von Guardian, Times und Telegraph und den Beginn der BBC-Neun-Uhr- Nachrichten geschafft hast und daß Du uns allen schrecklich leid tatest.“ D.J.

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