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Serben verzögern Abzug erneut

Sarajevo weiter umzingelt / Genfer Bosnien-Gespräche verschoben / Rußland warnt Nato vor Luftangriffen / USA schwächten ihre Position ab / Warten auf Butros Ghali  ■ Aus Genf Andreas Zumach

Wegen der andauernden Besetzung der bei Sarajevo gelegenen Berge Igman und Bjelasnica durch serbische Truppen fanden auch gestern in Genf keine Direktverhandlungen der drei bosnischen Kriegsparteien statt. Kritisch reagierte der russische Außenminister Andrej Kosyrew auf den Beschluß des Nato-Rats vom Montag abend über Luftangriffe auf serbische Stellungen. Der Nato-Rat hatte allerdings lediglich „operative Operationen“ für Luftangriffe gebilligt und diese ausdrücklich von einem Befehl des UNO-Generalsekretärs Butros Ghali abhängig gemacht. Nach den letzten Berichten der UNO-Schutztruppen (UNPROFOR) machten die serbischen Truppen auch gestern keine Anstalten, sich vom Igman- Berg zurückzuziehen. Ein UNPROFOR-Bericht von gestern morgen, wonach die serbischen Verbände ihre Stellungen auf dem Bjelasnica-Berg aufgegeben hätten, wurden am Nachmittag von der UNPROFOR wieder in Frage gestellt. Der Rückzug verlaufe „nicht so schnell, wie er sollte“, sagte der Sprecher der Jugoslawien-Konferenz, John Mills. Französische UN-Soldaten, die die Lage auf dem Berg Igman erkunden sollten, berichteten zwar von serbischen Truppenbewegungen. Ein Sprecher sagte jedoch, diese seien so verwirrend, daß man nicht wisse, ob es sich um einen Abzug oder um Truppenverlegungen handele.

Bosniens Präsident Alija Izetbegović macht seine Teilname an Verhandlungen in Genf mit Serbenführer Radovan Karadžić und Kroatenchef Mate Boban weiterhin von einer Räumung beider Berge abhängig. Wegen der anhaltenden Besetzung luden die beiden Vermittler von UNO und EG, Thorvald Stoltenberg und David Owen, Karadžić zu einem Gespräch vor.

Rußlands Außenminister Kosyrew wollte nach Angaben seines Sprechers Karassin noch gestern mit den USA Kontakt aufnehmen, um Angriffe auf serbische Stellungen um Sarajevo zu verhindern. Angesichts der „Verschärfung der Lage in den letzten Tagen“ sei es „jetzt wichtig, unkontrollierten Aktionen in Bosnien vorzubeugen, die zum Anlaß für Gewaltaktionen werden könnten“, sagte er.

Der aus den 16 ständigen Botschaftern im Brüsseler Hauptquartier der westlichen Militär-Allianz bestehende Nato-Rat hatte am Montag abend zuvor von den Militärs ausgearbeitete „operative Optionen“ für Luftangriffe gegen serbische Stellungen gebilligt. Luftangriffe sollen allerdings nur „zur Unterstützung humanitärer Hilfsmaßnahmen“ erfolgen, zum Beispiel, wenn der Transport oder die Verteilung von Hilfsgütern durch die andauernde serbische Belagerung Sarajevos oder durch Beschuß behindert werden.

Zudem beschloß der Nato-Rat noch unmißverständlicher als bei seiner Sitzung vor einer Woche, daß zumindest vor dem ersten Luftangriff erst eine Autorisierung durch UNO-Generalsekretär Butros Ghali erfolgen muß. Die USA gaben zuvor ihre noch letzte Woche vertretene Haltung auf, daß die Nato alleine über den Beginn des Einsatzes ihrer Kampfbomber entscheiden solle. Auch ihren früheren Vorschlag, notfalls könnten einzelne Mitglieder der Allianz auch ohne einen Konsens aller 16 Staaten auf Basis der UNO-Resolution 770 alleine handeln, ließ die Clinton-Administration wieder fallen. Dafür brachte sie den Entwurf für den Beschluß der jüngsten Nato-Tagung gemeinsam mit Frankreich ein, das letzte Woche Luftangriffe noch strikt abgelehnt hatte.

Nach dem Wortlaut des Beschlusses muß nach einer Autorisierung durch den UNO-Generalsekretär der Nato-Rat erneut zusammentreten, um den Einsatz der über 70 Kampfflugzege zu beschließen, die bereits seit Wochen auf dem norditalienischen Stützpunkt Avione stationiert sind. Alle Aktionen des Bündnisses sollen darüber hinaus „unter der Autorität des UNO-Sicherheitsrates, innerhalb der Rahmens der relevanten Sicherheitsratsresolutionen und in Unterstützung der UNPROFOR erfolgen“.

Damit hat die Nato nach Einschätzung der meisten Beobachter im Konsens beschlossen, zumindest vorläufig nichts zu tun. Zumal allen Beteiligten klar ist, daß UNO-Generalsekretär Ghali eine Autorisierung von Luftangriffen nicht ohne einen entsprechenden Entscheid des Sicherheitsrates erteilen wird. Diesen aber kann Rußland mit seinem Veto verhindern. Der Auslegung von Nato-Generalsekretär Wörner, daß das Bündnis mit seinem jüngsten Beschluß nun zu Luftangriffen auf serbische Stellungen „entschlossen und bereit“ sei, wurde denn auch von Nato-Diplomaten widersprochen. Nicht zufällig sei der Wortlauf des Beschlusses noch während Wörners Pressekonferenz an die Journalisten verteilt worden, hieß es im Nato-Hauptquartier.

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