: Szene-Stammtisch
■ Uraufführung: „Jakob L. oder die zweite Vertreibung“ im Ernst-Deutsch-Theater / Naiv vereinfachte Weltsicht
Die Juden sind gut, alle anderen Deutschen sind Nazis oder aber zumindest feige Duckmäuser. Schwarz oder weiß, kalt oder heiß, „Rechtsradikalismus leicht gemacht“ heißt die derzeitige Devise im Ernst-Deutsch-Theater. Für diese naiv vereinfachte Weltsicht gab es am Dienstag bei der Uraufführung von Katrin Wagners erstem Theaterstück “Jakob L. oder die zweite Vertreibung“ sogar vereinzelte Bravo-Rufe. Da haben sich also Leute wiedergefunden in der platten Weltsicht der Autorin. Irgendwo hat man das alles vielleicht schon gehört, wahrscheinlich an irgendeinem Stammtisch, der zufällig in einer Szene-Kneipe steht.
Erzählt wird die Geschichte des jüdischen Arztes Jakob Landauer, der in Lerchenberg ein Wohnheim für tamilische Asylanten einrichten will. Alle anderen sind dagegen. Bald ist Landauers Wartezimmer leer, seine Hausfassade voller Schmierereien, seine Familie wird Opfer eines nächtlichen Nazi-Überfalls. Wie der Zufall es will, wurden die Landauers vor 50 Jahren von den Vorfahren der jetzigen Übeltäter aus Lerchenberg vertrieben. Diesmal will der Arzt der guten Sache wegen standhaft bleiben.
Dem Stück liegt eine Begebenheit vor fünf Jahren im Städtchen Gedern im Wetteraukreis (Hessen) zugrunde. Das allein macht es nicht besser. Die Auszeichnung mit dem Dramatikerpreis 1991 der Hamburger Volksbühne wirft die Frage auf, wie schlecht ein Stück sein darf, um sich mit diesem Titel schmücken zu dürfen.
Schauspiele über Rechtsradikalismus sind zwar in Mode. Doch das sollte kein Grund sein, sie unreflektiert aus dem Ärmel zu schütteln. Die Personen sind allzu durchsichtig gezeichnet, die Dialoge so oberflächlich, daß sie nicht einmal Lindenstraßen-Niveau erreichen. Plump und falsch stellt die Autorin das Phänomen Neofaschismus lediglich als nahtlose Fortsetzung des Dritten Reiches dar.
Damit es verdaulich wird, hat Katrin Wagner kleine Gags eingestreut. Ein Schwank fürs gewissensgeplagte Bürgertum. Das populistisch gezeichnete Bild vom bösen Nazi entläßt das Publikum mit dem wohligen Gefühl, auf der Seite der Guten zu stehen. In diesen Zerrbildern kann sich schließlich niemand mehr selbst entdecken, die Übeltäter sind folglich immer die anderen. Um auch wirklich allen zu gefallen, darf der nette Mediziner sich natürlich nicht um Asylbewerber kümmern, sondern nur um anerkannte Asylanten. Polizist und Nazi reichen sich symbolträchtig die Hand, das Böse siegt über das Gute.
Neue Denkanstöße fehlen völlig. „Wer 'ne gute Idee hat, schreibt sie auf diesen Bierdeckel“, bittet Nazi-Bürgermeister Charly. Leider zu spät. Das Stück ist schließlich schon geschrieben.
Werner Hinzpeter
Ernst-Deutsch-Theater, bis 4.8., 19.30 Uhr; 15.8., 19.00 Uhr
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