piwik no script img

Kiew: Kein Referendum

■ Parlament verzögert Vorbereitungen / Neue Streikwelle im Donetzk-Becken?

Warschau (taz) – Das ukrainische Parlament ist auf dem besten Weg, eine neue Streikwelle in der Ostukraine auszulösen. Der Grund: Das Referendum, das die ukrainischen Kumpel im Donetzk- Becken im Juni mit einem Streik in fast allen Kohlebergwerken des Landes erzwungen hatten, kann wegen Fristenüberschreitung des Parlaments nicht zum vorgesehenen Zeitpunkt stattfinden.

Die Parlamentarier konnten sich bisher nicht über die genaue Fragestellung einigen. Mittel zur Durchführung der Volksabstimmung wurden bisher ebenfalls nicht bereitgestellt. Die Streikkomitees im Donetzk haben erklärt, jederzeit wieder in Streik treten zu wollen, sollte das Referendum abgesetzt werden.

Tatsächlich hat außer den Bergarbeitern kaum jemand wirkliches Interesse an einer allgemeinen Vertrauensabstimmung über Parlament und Präsident. Weder Präsident Krawtschuk noch die Parlamentarier können Umfragen zufolge auf eine Mehrheit rechnen. Als im Juni in Kiew die Interviewer des Soziologie-Instituts der Ukrainischen Akademie der Wissenschaften auf die Straße gingen, um die Bürger nach ihrem Vertrauen zu Parlament und Präsident zu fragen, erfuhren sie diese Unzufriedenheit überdeutlich.

Dem „Obersten Rat“, dem ukrainischen Parlament, wollten 74,2 Prozent der Befragten beim für Ende September geplanten Referendum ihr Mißtrauen aussprechen, knapp 58 Prozent haben allerdings auch zu Präsident Krawtschuk kein Vertrauen mehr. Eine überwältigende Mehrheit der Bevölkerung ist außerdem dafür, daß nach dem Referendum Neuwahlen für Parlament und Präsident ausgeschrieben werden.

Diesem Ziel steht jedoch die ukrainische Verfassung entgegen: Nur wenn die Kumpel drei Millionen Unterschriften gesammelt hätten, wäre der Ausgang des Referendums für die Abgeordneten bindend gewesen. So kann das Parlament sich auflösen, muß aber nicht.

Und auch Präsident Krawtschuk bat die Abgeordneten in Kiew, die Abstimmung abzublasen. So hat das von einer amorphen Mehrheit parteiloser Exkommunisten dominierte Parlament die Entscheidung jetzt einfach „ausgesessen“. Die wirtschaftlichen Forderungen der Bergarbeiter dagegen wurden mit der Notenpresse befriedigt. Die staatliche Wahlkommission hat ihre Arbeit inzwischen eingestellt. Klaus Bachmann

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen