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Generalstreik gegen Militärdiktatur lähmt Nigeria

■ Opposition will Demokratisierung erzwingen / Zehntausende verlassen die Städte

Berlin/Lagos (taz/AP) – Mit einem landesweiten Generalstreik hat gestern eine dreitägige Protestaktion gegen das Militärregime in Nigeria begonnen. Die Proteste, zu denen der oppositionelle Dachverband „Kampagne für Demokratie“ (CD) aufruft, wenden sich gegen die Annullierung der Präsidentschaftswahlen vom 12. Juni durch die Regierung und gegen deren Weigerung, zum 27. August die Macht an den gewählten Präsidenten Moshood Abiola zu übertragen. „Die überwältigende Reaktion der Nigerianer soll dem Militär deutlich machen, daß die Menschen entschlossen sind, auf der Vereidigung der Gewinner der Wahl vom 12. Juni zu bestehen“, erklärte Clement Nwanko, Direktor der CD-Mitgliedsorganisation „Projekt Verfassungsrechte“.

Der Generalstreik wird vor allem in den Städten des Südwestens wie Lagos und Ibadan befolgt. Hier lebt das Yoruba-Volk, dem auch Abiola sowie viele Oppositionsführer des Landes angehören. Sie vermuten, die Hartnäckigkeit des Militärs könnte damit zu tun haben, daß die politische Dominanz der Haussa-Fulani-Völker des nigerianischen Nordens bewahrt werden soll. Aus Angst vor Gewalt haben in den letzten Wochen viele Yorubas die nördlichen Städte Kano und Kaduna verlassen. Aus Lagos sind Zehntausende Menschen aller Ethnien geflüchtet, die bei Verwandten auf dem Land Sicherheit vor zu befürchtenden Auseinandersetzungen suchen: Bei Großdemonstrationen Anfang Juli hatten Soldaten über 100 Menschen in Lagos getötet. Das Stadtbild wird nun von den vielen Soldaten und Polizisten in gepanzerten Fahrzeugen bestimmt, die überall postiert sind. CD-Flugblätter warnen die Bevölkerung, ihnen zu nahe zu kommen: „Wenn das Regime Killertruppen auf die Straßen schickt, sollten die Nigerianer zu Hause bleiben“.

Wole Soyinka warnt vor Zerfall und Bürgerkrieg

Die Regierung hatte bereits am Montag mit der Verhängung des Ausnahmezustandes gedroht, worauf die Ölarbeitergewerkschaft die Möglichkeit eines unbefristeten Streiks ankündigte. Sollte es zu einer Konfrontation kommen, würde die Wirtschaft schnell zusammenbrechen: Nigeria erwirtschaftet 95 Prozent seiner Exporteinnahmen durch Ölverkauf.

„Wer kontrolliert das Öl?“ – das hat sich in der nigerianischen Geschichte als die explosivste der vielen offenen politischen Fragen des westafrikanischen Vielvölkerstaates erwiesen. Über eine Million Menschen starben in einem mörderischen Krieg zwischen 1967 und 1970, als der ölreiche Südosten des Landes sich unter dem Namen „Biafra“ als selbständiger Staat etablieren wollte. Die gegenwärtig herrschende Militärelite hat zu großen Teilen ihre Sporen in diesem Krieg verdient und rechtfertigt ihre Herrschaft gerne mit der Notwendigkeit, die nationale Einheit des Landes zu wahren.

Viele Beobachter fürchten aber, die jetzige Krise könnte Nigeria erneut auseinanderreißen. Der wohl bekannteste Regimekritiker, der Literaturnobelpreisträger Wole Soyinka, warf der Militärregierung am Mittwoch vor, ethnische Spannungen zu schüren und das Land an den Rand eines Bürgerkrieges zu treiben. „Eine winzige machtbesessene Gruppe hat dem Volk den Krieg erklärt“, sagte Soyinka und rief zu einem internationalen Wirtschaftsboykott gegen Nigeria auf.

Soyinka hält sich nach eigenen Angaben aus Sicherheitsgründen zur Zeit in London auf, wie auch Wahlsieger Abiola das Land verlassen hat und Politiker in den USA zu überzeugen versucht, daß ein Bürgerkrieg in Nigeria das Chaos in Somalia in den Schatten stellen würde. Die Sicherheitsbedenken sind berechtigt: Die Führer der Demokratiebewegung CD, Belo Ransome-Kuti und Gani Fawehinmi, sitzen seit dem 7. Juli im Gefängnis, viele CD-Sympathisanten ebenfalls. Erst am Montag brachen Polizisten in Ransome-Kutis Haus in Lagos ein und verhafteten acht Personen – darunter die Frau des berühmten, ebenfalls inhaftierten Sängers Fela Kuti. D.J.

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