: Die neue Weltordnung
Bayer Leverkusen – Bayern München 2:1 / Bayern verspielt seinen schlechten Ruf ■ Aus Leverkusen Christoph Biermann
Die Welt ist in Unordnung, das weiß der eifrige Zeitungsleser und hat sich wahrscheinlich deshalb – herzlich willkommen – auf die Sportseite geflüchtet. Denn die Welt des Sports ist so übersichtlich, daß vergleichsweise kleine Erschütterungen wie Dopingskandale und verprügelte Pferde schon als veritable Skandale und ernste Fälle von Durcheinander beschrieben werden. – Aber damit soll hier die Ruhe nicht gestört werden. Blicken wir lieber auf die besonders geordnete Fußball-Bundesliga, da kennt man sich ganz schnell aus. Die Bayern aus München etwa sind die Großkopferten, die doofen Sieger, die Fußball als blankes Geschäft betreiben. Leverkusen ist zwar noch schlimmer, aber harmloser. Ein seelenloser Plastikklub von Pharmagelder Gnaden, der aber wenigstens im entscheidenden Moment scheitert.
Achtung, Vorsicht, es ändert sich was. Also keine Angst, so dramatisch ist das nicht. Wir beobachten nur eine kleine Kräfteverschiebung, etwas Euphorie und eine neue Lichtgestalt. Was letzteres so genau ist, muß offenbleiben. Auf jeden Fall handelt es sich dabei aber um einen Modebegriff, der in Sportjournalistendiskurs etwas aufwerten helfen soll. (Ab jetzt drauf achten!)
Also zunächst einmal zur Kräfteverschiebung. In den letzten Wochen wurden um die Stadien herum T-Shirts verkauft, auf denen zu lesen war: „Keiner mag die Bayern!“ Das folgt noch der alten Theorie von den doofen Siegern (s.o.), aber besonders gut verkauften sich die Dinger nicht. Das liegt nicht daran, daß Bayern München plötzlich beliebter wäre. Sie sind einfach kein so gutes Haßobjekt mehr. Und wenn man sein Näschen in den Wind hebt, merkt man auch gleich, woran es liegt. So müffeln Verlierer. – Letzte Saison haben sie sich kurz vor Toresschluß noch die Butter vom Brot nehmen lassen. Beim sommerlichen Eins- zwei-drei-Wer-hat-den-Star haben sie auch eher alt ausgesehen. Riedle wechselte nach Dortmund, Schuster zu Leverkusen, und sie selbst bekamen nur einen kolumbianischen Zug namens Valencia, der am Samstag aber schon wieder zuhause für seine Nationalmannschaft fuhr. Dann hatte sich der nette Erich Ribbeck eine zukunftsweisende Taktik für sein Team ausgedacht, aber seine Spieler machen den Eindruck, als wären sie zu blöd, das zu verstehen. Aber vielleicht braucht es auch seine Zeit, bis man vom Abwehrsystem mit Libero auf eine Vierer-Abwehrkette umgestellt hat.
Euphorie, oder nennen wir es etwas vorsichtiger Freude, ist in dieser Saison in Leverkusen ausgebrochen. 27.400 Zuschauer am Samstag gegen Bayern München bedeuten genauso Vereinsrekord wie 6.200 verkaufte Jahreskarten. Begeisterung auch über das neue Abfallentsorgungskonzept fürs Ulrich-Haberland-Stadion. „Zusammen jubeln, getrennt sammeln“, ist der Slogan, auf den man aber überraschenderweise nicht gekommen ist. Auf jeden Fall wurde nach dem 2:1 gegen Bayern gejubelt wie auf einem Betriebsfest kurz vor Mitternacht. Dabei war noch nicht einmal die Sonne untergegangen.
Womit wir bei der Lichtgestalt wären, die für all die Begeisterung sorgte. Bernd Schuster war ganz groß (Fachjargon: Weltklasse). Aber über ihn sind auf dieser Seite in den letzten Jahren vom Bernd- Schuster-Fachressort schon so viele Jubelverse verfaßt worden, daß man ergänzend nur anfügen kann: es stimmte alles. Der Mann ist genial. Und unheimlich nett außerdem. Freundlich beantwortete er nach dem Spiel selbst die blödesten Fragen und erfüllte die seltsamsten Wünsche.
Und so grüßte er brav ins Mikrophon auch die deutschen Soldaten in „wo jetzt genau, ach überall“, und sagte: „Das Wichtigste ist, daß Ihr wieder gesund nach Hause zurückkommt.“ Solchermaßen moralisch aufgerüstet, darf jetzt im Politikteil weitergelesen werden.
Bayern München: Aumann - Schupp, Kreuzer, Helmer, Thon (46. Sternkopf) - Scholl, Matthäus, Wouters, Ziege - Zickler, Witeczek (72. Nerlinger)
Zuschauer: 27.400; Tore: 1:0 Kirsten (2.), 1:1 Thon (26./Foulelfmeter), 2:1 Sergio (71.)
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