: Freisprüche in Islamistenprozeß
■ Unerwartetes Gerichtsurteil in Kairo
Kairo (taz) – Zu einem überraschenden Urteil kam am Wochenende das Oberste Staatssicherheits-Gericht in Kairo. Entschieden wurde im Prozeß gegen 27 Islamisten, die an der Ermordung des ehemaligen ägyptischen Parlamentspräsidenten Rifaat Mahgub am 12.10.1990 beteiligt gewesen sein sollten. Zehnmal Haft bis zu 15 Jahren für unerlaubten Waffen- und Sprengstoffbesitz sowie Urkundenfälschung und 17mal Freispruch lautet der unerwartete Urteilsspruch. Nach der Urteilsverkündung brach unter den Angeklagten lauter Jubel aus. In dem Verfahren war zunächst sogar mit Todesstrafen gerechnet worden.
In den letzten Monaten wurden 21 Todesurteile gefällt. Mit diesem Urteil haben sich die zivilen Richter offenbar gegen die Politik der Militärgerichtsbarkeit aufgebäumt. Das Oberste Sicherheitsgericht, das das Urteil fällte, ist zwar Produkt des in Ägypten verhängten Ausnahmezustandes, doch bislang wird es von zivilen Richtern geleitet. Dem Urteil kommt auch in Anbetracht der Ausdehnung der Militärgerichtsbarkeit durch die Regierung Mubarak besondere Bedeutung zu. Ägyptische Menschenrechtsorganisationen protestieren immer lauter gegen diese Politik.
Doch in dem Prozeß ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Wie von der Staatsanwaltschaft zu hören war, könnte der Urteilsspruch angefochten werden. Dazu hat die Militärgerichtsbarkeit das Recht, wenn sie der Meinung ist, daß es im Prozeß zu „juristischen Fehlern“ gekommen ist.
Der Richter des Obersten Sicherheitsgerichts, Oahid Mahmud Ibrahim, begründete sein Urteil damit, daß sich kein verläßlicher Augenzeuge gefunden habe, der die Täter während des Anschlages gesehen hat. Auch das Geständnis des Hauptangeklagten Muhammad Al-Naggar erklärte er für nichtig, da der Angeklagte während seines Geständnisses um sein Leben bangen mußte. Al-Naggar, der als einziger eine Beteiligung an dem Attentat gestanden hatte, wurde gleichwohl wegen anderer Delikte zu 15 Jahren Haft verurteilt. Während seiner Festnahme war er in den Hals getroffen worden, während zwei seiner Freunde vor seinen Augen von der Polizei erschossen wurden. „Medizinische Gutachten haben ergeben, daß alle Angeklagten im Gefängnis der schrecklichsten Folter ausgesetzt waren“, erklärte der Richter, „darunter auch Elektroschocks.“ Al- Naggar hätten die Sicherheitskräfte „nur leben lassen, um ihn für die Zwecke der Polizei zu benutzen“. Die belastenden Zeugenaussagen einiger Offiziere erklärte der Richter für unverwendbar, da sie erst nach dem Geständnis von Al- Naggar zustande kamen.
In dem vor zwei Jahren begonnenen Mammutprozeß wurden 158 Zeugen, darunter 36 Belastungszeugen, gehört, auch der ehemalige Innenminister Muhammad Abdel Halim Musa und der ehemalige Chef des Inneren Geheimdienstes, Mustafa Kamil.
Gestern schlug dann wieder die Stunde der Militärrichter. In einem neuen Prozeß wurden 35 Personen des Mordes und des unerlaubten Waffenbesitzes angeklagt. Sie sollen eine militante Organisation „Avantgarde der Islamischen Befreiung“ zum „gewaltsamen Sturz des Systems“ gegründet haben. Karim El-Gawhary
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