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Steinmetz' Erzählung: „Es geht mir beschissen gut“

■ Wie der V-Mann seine Rückkehr nach Wiesbaden betrieb

Eine „Recherchegruppe“ versendet derzeit einen „Steckbrief“, dem zu entnehmen ist, wie der V- Mann nach dem Desaster am Schweriner See anfangs ganz cool, später geradezu verzweifelt versuchte, seine Rückkehr in die Wiesbadener Szene zu inszenieren. Daß Steinmetz sich seine Geschichten von Anfang an ohne intellektuelle Unterstützung seiner „Führungsoffiziere“ vom Mainzer Verfassungsschutz ausdachte, ist danach kaum anzunehmen. Auch sie hingen mindestens in den ersten Tagen nach der blutigen Schießerei der Illusion nach, sie könnten ihre Spitzenquelle trotz der zwischenzeitlichen Verhaftung vor den Augen Birgit Hogefelds in der Szene wiedereingliedern.

Schon am Sonntag hatte sich Klaus Steinmetz in Wiesbaden gemeldet, aber erst am Freitag, dem 2. Juli, fünf Tage nach der blutigen Verhaftungsaktion, tauchte er auf. Nach den Informationen der „Recherchegruppe“ hatte er sich mit einer/m Freund/in, weil „er am Ende ist und jemanden braucht, mit dem er reden kann“, telefonisch und konspirativ an einem geheimen Treffpunkt verabredet. Auf seine Kontaktperson machte er einen „völlig verwirrten und fertigen Eindruck“. Schon am Telefon hatte er darüber nachgedacht „ob er sich stellen soll“ – den „Bullen“, nicht seinen Genossen.

Wirr waren auch Steinmetz' Erzählungen über die Wildwest- Szene am Bahnhof von Bad Kleinen: Zunächst habe ihn ein Beamter des Greiftrupps zu Boden geworfen und nach Waffen durchsucht. Dann seien „ihm die Kugeln um die Ohren geflogen“, bis er von einem Polizisten „aus der Schußlinie gezogen“ worden sei. Da in diesem Moment oben ein Zug einlief und Fahrgäste in die Unterführung strömten, seien „die Bullen total hektisch“ geworden. Er, Steinmetz, habe das Chaos genutzt und sich unter die Leute gemischt, die von den Fahndern „ganz schnell in einen Zug verfrachtet“ wurden. Und ab ging's nach Lübeck, zurück in die Freiheit.

Weder Birgit Hogefeld noch er selbst, versichert der V-Mann gegenüber seinem/r Gesprächspartner/in, hätten vor der Festnahmeaktion etwas von Observationen bemerkt, es müsse wohl der in Bad Kleinen hinzustoßende Wolfgang Grams gewesen sein, der „die Bullen drauf gehabt“ habe. Soweit die Legende.

In den folgenden Tagen meldet sich Steinmetz bei seiner Mutter und einer Freundin, klagt bitter über die „Lügenkampagne“, die ihn zum Spitzel stempeln will. Zu weiteren Treffs mit den Genossen kommt es, trotz entsprechender Vereinbarungen, nicht mehr. Am Mittwoch, dem 14. Juli, warten ein Freund und ein Anwalt vergeblich an einem zuvor telefonisch ausgemachten Ort auf ihn. Tags drauf, nachdem die Identität des Polizeispitzels gelüftet worden war, bestätigt der Mainzer Innenminister Zuber erstmals den Einsatz eines V- Mannes, ohne allerdings den Namen zu nennen.

Pech für Steinmetz: Unmittelbar vor seiner Enttarnung und Zubers V-Mann-Eingeständnis schickt er zwei Briefe an die „lieben Leute“ in Wiesbaden los, in denen er noch einmal mit kräftigen Worten (s. taz vom 19.7.93) jede Kooperation mit dem Staatsschutz bestreitet. Von den „Mördersäuen“ in Bad Kleinen ist dort die Rede und dem „Schweinesystem“, dem er auch dann niemals als Kronzeuge dienen werde, „wenn sie mich schnappen“. Möglicherweise hat Klaus Steinmetz zuvor angekündigt, sich ins Ausland abzusetzen, wo er „nächstes Wochenende wie vereinbart“ seine Freundin treffen wollte.

Im ersten Schreiben, in der Dokumentation der Wiesbadener „Recherchegruppe“ auf den 15. Juli datiert, findet sich ein verklausulierter Hinweis auf mögliche eigene Strafttaten.

Die Geschichte habe bewiesen, daß er „kein Verräter“ sei. Nur könne er sich dazu „nicht genauer äußern, um nicht mich und andere zu gefährden“. Denkbar, daß Steinmetz damit allein auf seine Kenntnis der Vorbereitungen zum RAF-Anschlag in Weiterstadt anspielt, die er dem Verfassungsschutz – zunächst – vorenthalten hatte. „Ihr müßt mir vertrauen“, beschwört der verlorene Genosse in diesem Schreiben die Szene. Und: „Glaubt mir, es geht mir beschissen gut.“

In der Nacht zum 22. Juli telefoniert Steinmetz ein letztes Mal mit seiner Freundin. Er sagt, „daß ,sie‘ ihn erpreßt haben“. Am Nachmittag hatte die taz vorab ein Papier von Birgit Hogefeld veröffentlicht, in dem diese den „Genossen Klaus“ endgültig überführt (taz vom 22.7.93). Seither schweigt Klaus Steinmetz.

Den Schluß der Stellungnahme aus der Wiesbadener Szene bildet eine detaillierte Personenbeschreibung des „Verräters“ und vier Fotos. „Wir wollen erreichen“, rechtfertigen die Autoren des alternativen Steckbriefs ihr Vorgehen, „daß auch für Leute, die ihn eventuell ohne seinen ganzen Namen kannten, klar wird, um wen es sich handelt“. Er solle sich „nicht noch einmal in einem unserer Zusammenhänge bewegen“ können. Das neunseitige Papier ist in weiten Passagen geprägt von heftigen Selbstvorwürfen der AutorInnen. Nach Bad Kleinen habe man sich viel zu lange dagegen gewehrt, „die einfachste und logischste Erklärung als Wahrheit anzuerkennen“.

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