■ Die Krise in Nigeria: Eine Entscheidung, die ganz Afrika beeinflußt
Nigeria könnte einen demokratisch gewählten Präsidenten bekommen: Chief Moshood Abiola, der am 12. Juni die freien Präsidentschaftswahlen mit über 50 Prozent der Stimmen gewann. Am 27. August soll er sein Amt übernehmen und damit zehn Jahren Militärdiktatur ein Ende setzen – wenn die gegenwärtigen Herrscher dies zulassen.
Sie lassen es nicht zu. Nigerias Präsident, General Ibrahim Babangida, hat die Wahl vom 12. Juni annulliert. Statt eines demokratisch gewählten Nachfolgers soll eine „Interimsregierung“, vermutlich unter maßgeblicher Beteiligung des Militärs, Nigeria übernehmen. Gestern abend wollte Babangida in einer Ansprache Einzelheiten bekanntgeben; Beobachter spekulierten auf eine formale Auflösung der Militärjunta und ihre Ersetzung durch ein anderes, ähnliches Gremium. Als erstes Signal ließ der Präsident die Militärparade für seinen heutigen 52. Geburtstag absagen.
„Wenn das in Südafrika passieren würde, was würde die Welt tun?“, fragte Abiola gestern im Londoner Guardian: „Wenn Nelson Mandela eine Wahl gewänne und Präsident F.W. de Klerk das Ergebnis annullierte, würde die Welt ihn gewähren lassen?“ Das ist ein verwegener Vergleich. Schließlich saß Abiola nie im Gefängnis, sondern war lange ein Freund Babangidas. Doch jetzt vergleicht er seine ehemaligen Freunde mit den Putschisten von Haiti und plädiert für ein Wirtschaftsembargo, wie es heute auch Nigerias prominentester Schriftsteller Wole Soyinka in der taz tut.
Bisher haben nur die USA angekündigt, nicht-humanitäre Entwicklungshilfe zu suspendieren. Die Bundesregierung hat lediglich die Annullierung der Wahlen verurteilt; über weitere Maßnahmen sind nach Auskunft eines Sprechers des Auswärtigen Amtes „bisher keine Entscheidungen“ getroffen worden – Sanktionen seien ohnehin nur im Rahmen der EG möglich. Ein Sprecher des Entwicklungshilfeministeriums erklärte, Deutschland gewähre Nigeria sowieso nur humanitäre Hilfe in geringem Umfang, die nicht gestrichen werden könnte: „Sanktionen hieße, die ländliche Bevölkerung zu bestrafen.“
Doch wie ernst meint die entwickelte Welt ihre ständig wiederholten Bekenntnise zur Demokratie in der Dritten Welt? Nigeria ist nicht einfach irgendein fernes Land. Es strebt zusammen mit Deutschland einen ständigen Sitz im UNO-Sicherheitsrat an. Wirtschaftlich und politisch dominiert Afrikas bevölkerungsreichstes Land große Teile West- und Zentralafrikas. So ist der nigerianische Machtkampf nicht nur eine nigerianische Angelegenheit. Für ganz Afrika geht es gegenwärtig darum, die koloniale Hinterlassenschaft klientelistischer, auf dem Machtmonopol kleiner Eliten beruhender Herrschaftssysteme zu überwinden und mit mehr Demokratie den Grundstein für mehr Gerechtigkeit zu legen. Wie es Soyinka – und nicht nur er – drastisch formuliert: Afrika muß die von fremden Herren eingepflanzten Staatsgebilde „herausschneiden“, um die kranken Gesellschaftskörper zu retten.
In manchen Ländern – unter anderen Nigerias Nachbarstaaten Benin und Niger – ist zumindest der Anfang dazu gemacht worden, mit der Amtsübernahme demokratisch gewählter Regierungen. In anderen – darunter Nigerias anderer Nachbarstaat Kamerun – haben die alten Machthaber genau das zu verhindern gewußt. In nahezu allen ist der Ausgang der teils seit Jahren tobenden Machtkämpfe noch offen.
Welchen Weg das mächtige Nigeria geht, könnte für Afrika entscheidend sein. Dominic Johnson
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