: Friede oder bloß ein neuer Schachzug?
Die Serben ziehen sich von den Bergen um Sarajevo zurück. Neun von zehn Stadtteilen sollen unter UNO-Verwaltung gestellt werden. Nach den Wünschen der UNO soll Sarajevo entmilitarisiert werden. Detailverhandlungen stehen noch aus.
In der Nacht zum Dienstag verkündete John Mills, Sprecher der Genfer Bosnien—Verhandlungen die Erfolgsnachricht: Sarajevo solle entmilitarisiert werden. Die drei bosnischen Kriegsparteien hätten sich darauf verständigt, die bosnische Hauptstadt unter „UNO-Verwaltung“ zu stellen.
Aber: „Der Teufel steckt im Detail“, relativierte Mills gestern. Eine Arbeitsgruppe, bestehend aus einem Serben, einem Kroaten und einem Muslimen, beriet gestern über die Ausgestaltung der Vereinbarung. Bis Redaktionsschluß waren sie nicht zu einem Ergebnis gekommen.
„Entmilitarisiert“ und unter „UNO-Verwaltung“ gestellt werden sollen neun der zehn Bezirke und Vororte von Sarajevo, ausgeschlossen werden soll der 13 Kilometer südöstlich vom Stadtkern gelegene Ort Pale. Dies war die Bedingung von Serbenfüher Karadžić, der hier sein Hauptquartier hat und Pale zur Hauptstadt der künftigen serbischen Teilrepublik machen will.
Aber was bedeutet „Entmilitarisierung“? Den Abzug aller bewaffneten Verbände mit Ausnahme der UNPROFOR-Truppen? Die Abgabe sämtlicher in der Stadt vorhandenen Waffen? Oder nur den Abzug schwerer Waffen ab einer bestimmten Kalibergrenze? Wie vieler UNO-Soldaten und Beamten bedarf es, um die Stadt einer effektiven UNO-Verwaltung zu unterstellen? Über all diese Fragen schweigen sich bisher auch die beiden Vermittler von EG und UNO, Owen und Stoltenberg, aus. Als der UNO-Sicherheitsrat im Mai Sarajevo zur „Schutzzone“ erklärte, veranschlagten Experten im UNO-Hauptquartier rund 7.000 UNPROFOR-Soldaten für die Umsetzung des Beschlusses. Der Sicherheitsrat handelte diese Zahl dann auf 1.500 Soldaten herunter. Bis heute sind lediglich 250 Soldaten in Sarajevo stationiert. Würde die Stadt unter UNO-Verwaltung gestellt, wären jedoch 1.500 Soldaten nötig. Daran zweifeln auch Owen und Stoltenberg nicht. Die dreiköpfige Arbeitsgruppe soll auch Empfehlungen zur Bildung einer Stadtpolizei und zur Koordinierung der Zusammenarbeit zwischen UNO-Behörden und den lokalen Verwaltungsstrukturen formulieren.
Angesichts der Rahmenbedingungen und Voraussetzungen fragen sich in Genf viele BeobachterInnen, warum sich die Delegation von Präsident Izetbegović überhaupt auf die „prinzipielle Vereinbarung“ eingelassen hat. Denn am Montag, 60 Stunden nach der am Samstagnachmittag abgelaufenen Rückzugsfrist der UNPROFOR, befanden sich immer noch 250 serbische Soldaten auf dem Berg Igman. Ein Karadžić-Sprecher begründete: „Wir haben zur Zeit keinen Bus, um unsere Soldaten vom Igman-Berg zu transportieren.“ Kurz zuvor hatte in Sarajevo der britische Sprecher der UNPROFOR-Truppen, Frewer, bereits „großes Verständnis“ für die „logistischen Probleme“ der serbischen Truppen geäußert. Und der ebenfalls britische UNPROFOR-General Hayes erklärte, von einer „Belagerung“ Sarajevos könne „keine Rede sein“. Die Stadt werde „von serbischen Truppen umzingelt“, die sich halt „in strategisch vorteilhafteren Positionen“ als die muslimischen Verteidiger befänden. Trockener Kommentar eines BBC-Korrespondenten: Die UNPROFOR versuche die Lage in der bosnischen Hauptstadt „schönzureden“ und behaupte Dinge, „die schlicht falsch“ seien.
Sollte in den nächsten Tagen tatsächlich die völlige Entmilitarisierung der neun Bezirke und Vororte Sarajevos beschlossen werden, würden die überwiegend muslimischen Truppen, die die Stadt bislang verteidigt haben, gänzlich entwaffnet. Ihre letzte – über den Igman-Berg laufende – Nachschublinie für Waffen und Munition ist bereits seit der Besetzung durch die Serben vorletzte Woche unterbrochen. Nach der Besetzung der meisten Positionen auf dem Igman-Berg durch UNPROFOR- Truppen unterbinden diese gemeinsam mit den verbliebenen serbischen Soldaten jeglichen weiteren militärischen Nachschub in die Stadt.
Die Zulieferung der dringend benötigen humanitären Güter verhindern beziehungsweise kontrollieren weiterhin die Serben. Sie halten sämtliche Zufahrtstraßen in die Stadt besetzt. Sollten die neun Bezirke und Vororte Sarajevos unter UNO-Verwaltung kommen, brauchten die serbischen Truppen nur einige ihrer Kontrollpunkte ein paar Kilometer zurückverlegen und könnten die Stadt weiterhin voll kontrollieren.
Nach wie vor hält Serbenführer Karadžić an der Teilung in einen muslimischen Stadtkern und einem serbischen Außenring mit lediglich einem Korridor in das nördliche Tuzla fest. Bis vorletzte Woche hatten Vermittler Owen und Stoltenberg Izetbegović massiv gedrängt, sich auf einen Kompromiß einzulassen zwischen seinem brutalen Teilungskonzept und dem von der bosnischen Regierung geforderten einer offenen Stadt ohne jegliche Zugangsbeschränkung und mit Wohnrecht für Angehörige aller Volksgruppen. Dieser „Kompromiß“ wäre jedoch auch auf eine Zweiteilung der Stadt hinausgelaufen — auch wenn sie weniger brutal geworden wäre.
Da sie nicht in die Geschichte eingehen wollten als die Väter der Teilung Sarajevos, änderten Stoltenberg und Owen ihre Strategie und schlugen eine „Übergangslösung“ vor. Die Teilung wird erst in einem Jahr oder später vollzogen, wenn sie ihre Vermittlerfunktion längst aufgegeben haben.
Izetbegović wurde zugleich in den letzten zehn Tagen sowohl von EG-Ratspräsident Willy Claes wie auch von Gesandten der US-Regierung klar gemacht, daß er bei einer Ablehnung dieses „Übergangskonzepts keine Unterstützung finden werde“. Die Zweiteilung Sarajevos sei nur verschoben, meinte ein Mitglied der US-Delegation gestern resigniert. Andreas Zumach, Genf
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