: Der „offene Bericht“ läßt Fragen offen
Bonner Abgeordnete bleiben nach Vorlage des Bad- Kleinen-Zwischenberichts unzufrieden und mißtrauisch: „Warum gab es diese Vernichtung von Beweismaterial?“ ■ Aus Bonn Hans-Martin Tillack
Innenminister Manfred Kanther (CDU) heimste gestern viel Lob ein. Sein neuer Bericht liste „mit großer Offenheit“ zahlreiche Fehler bei und nach der mißglückten Festnahmeaktion in Bad Kleinen auf, rühmte ihn der FDP-Innenpolitiker Burkhard Hirsch am Rande der Sitzung von Innen- und Rechtsausschuß in Bonn. Auch sein SPD-Kollege Gerd Wartenberg mochte an Kanthers Auftritt im Ausschuß keine Kritik üben. Dennoch gab es bis in die FDP hinein Unzufriedenheit über das jetzt 143 Seiten starke Konvolut, das Kanther und Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) den Ausschußmitgliedern am Vorabend zugestellt hatten.
Es werde „nicht erklärt“, wie es zu der Häufung von Fehlern habe kommen können, merkte Hirsch an. Den Verdacht, daß die vielen Fehler bei der Spurensicherung nach dem Tod des mutmaßlichen RAF-Mitgliedes Wolfgang Grams einer systematischen Vertuschungsstrategie folgten – diesen Verdacht wollten aber auch Abgeordnete von SPD und Bündnis 90/Grüne nicht explizit erheben. Zumindest eine „unausgesprochene Tendenz“, die „Pannen“ nicht „öffentlich sichtbar werden zu lassen“, habe es wohl gegeben, meinte der SPD-Mann Wartenberg. „Warum“, fragte er sich, „gab es diese Vernichtung von Beweismaterial?“
Indizien, die einen Vertuschungsverdacht rechtfertigen würden, listet der Bericht in großer Zahl auf. Etwa den Umgang mit der Zeugenaussage der Kioskbeschäftigten auf dem Bahnhof von Bad Kleinen. Sie hatte noch am Tag der Festnahmeaktion gegenüber dem BKA bezeugt, sie habe zwei Beamte auf den am Boden liegenden Grams schießen sehen. Bei der Spurensicherung sei diese Aussage tagelang nicht berücksichtigt worden, räumt der Bericht ein. Es sei sogar „ungeklärt“, ob die Tatortermittler des Bundeskriminalamtes (BKA) von der Zeugenaussage erfahren hätten. Der Leiter der Sonderkommission Schwerin habe dies bejaht, die Tatortermittler hätten es bestritten. Wäre die Zeugenaussage berücksichtigt worden, meinte Hirsch, hätte sich „die ganze Tatortaufklärung anders dargestellt“. Wie es dazu kommen konnte, ist dem FDP-Abgeordneten einfach „schleierhaft“.
Insgesamt nennt der Bericht neun „Schwachstellen“ bei der Beweissicherung. Nach der Ausschußsitzung wandte sich Kanther gegen „Verschwörungsstrategien“ und unternahm einen eigenen Versuch, diese „große Zahl von außerordentlich betrüblichen Mängeln“ zu erklären. Bei der Masse der Fehler habe es sich um solche „handwerklicher Art“ gehandelt, meinte Kanther. Der Grund für den schlechten Informationsfluß innerhalb des BKA sei womöglich auch die fehlende „Reflexion“ des politischen Hintergrunds gewesen. Bei einem Zugriff auf RAF-Angehörige könne sich nach der Festnahme eine „neue bedrohliche Szene aufbauen“. Dies unterscheide eine solche Aktion vom Zugriff auf andere Kriminelle. Daß den Beamten dies nicht präsent gewesen sei, erkläre „vielleicht auch den einen oder anderen handwerklichen Fehler“.
Anders als in früheren Fassungen des Berichts ließen Kanther und Leutheusser-Schnarrenberger jetzt die Frage offen, wie Grams zu Tode kam. Hier müsse „der Abschluß des Ermittlungsverfahrens abgewartet werden“. Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Berichtes kamen gestern im Ausschuß dennoch auf. So werden über drei Seiten Widersprüche in den verschiedenen Aussagen der Kioskbeschäftigten aufgelistet. Widersprüche bei den Zeugenaussagen der Beamten verschweigt der Bericht. Es sei „auffällig“, kommentierte Wartenberg, „daß die Zeugenaussagen völlig unterschiedlich gewertet werden“.
Zweifel an der Objektivität des Berichts nährt auch ein 22 Seiten starker Anhang, in dem tatsächliche oder vermeintliche Falschmeldungen der Medien richtiggestellt werden sollen. In Bausch und Bogen als Falschmeldung wird unter anderem auch ein Bericht der Stuttgartner Nachrichten abqualifiziert, es gebe bei der GSG 9 einen „Racheschwur“. Richtig sei vielmehr: „Es gibt keinen Racheschwur. Die Angehörigen der GSG 9 werden nach Recht und Gesetz ausgebildet.“
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