: Zwischen Voodoo und Postsozialismus
Letzte Runde der Heimatklänge im Tempodrom: Stan Tohon & Le Tchink System aus Benin ■ Von Andreas Becker
Die Heimatklänge sind, um mal die Kunst-Kollegen zu zitieren, ein „work in progress“. Jede Band hat fünf Tage Zeit, sich auf die Berliner Verhältnisse einzustimmen. Am ersten Tag ist alles noch chaotisch, Instrumente sind im Frachtraum des Fliegers verschwunden, die Musiker frieren. Am zweiten Tag kommt der Muskelkater, und ab Freitag kann's dann so langsam losgehn. Ohne Heimatklänge kein Sommer. In diesem Jahr hat uns das Auswärtige Amt in Bonn den Sommer von acht auf sieben Wochen gekürzt: Das für nächste Woche geplante Heimatkino mit Ousmane Sembène, einem der wichtigsten afrikanischen Regisseure, muß ausfallen – der Zuschuß wurde gestrichen.
Letzte Runde also. Mit einer Band aus dem westafrikanischen Benin, einem kartographischen Handtuchstaat, eingeklemmt zwischen Togo und Nigeria. Stan Tohon und seine Band Le Tchink System bewegen sich in einem Spannungsfeld aus Voodoo, Postsozialismus und Wassermusik aus Kalebassen. Wer kein Französisch versteht, hat allerdings Probleme, den Voodoo-Zauber zu entschlüsseln.
Stan Tohon heißt der Sänger, auf Anhieb als Chef erkennbar. Er ist der Mann mit dem Goldhelm, nur echt mit der Krone obendrauf. Stan Tohon, das ist das Sympathische an ihm und der Musik seines „Tchink Systems“, verwirrt die Zuschauer. Sie wissen nicht so recht, was da nun wieder für ein afrikanischer Kleinstaatenkönig vor ihnen steht.
Er reißt in imperialer Chefgeste einem seiner Musiker das Instrument aus der Hand, um selber draufzuklopfen. Kurz darauf tanzt der kleinwüchsige Octave Zomaicome über die Bretter. Später trägt ihn der rundliche Stan, für einige Zuschauer befremdlich, wie ein Kind in den Armen.
Vincent Lagoteyte, Tourmanager der Band aus Paris, kennt die Problematik: „In Afrika flippen die Leute völlig aus, wenn ein ,kleiner Mann‘ auf der Bühne mitmacht. Stan nimmt ihn aber weder aus Mitleid mit, noch um ihn vorzuführen: Er ist einfach Teil der Band. Außerdem ist es ein politisches Statement: Jeder kann auf einer Bühne stehen, auch du!“
Auch die Musik ist für den ungeübten Hörer erklärungsbedürftig. So zogen die ersten vom Platz, weil ihnen der Sound der Band nicht originär genug klang. Immer noch scheinen einige Heimatklängler zu meinen, elektrische Instrumente hätten in afrikanischer Musik nichts verloren. E-Gitarren und Synthesizer passen nicht ins romantische Afrikabild, trommeln wie im Workshop der UFA-Fabrik sollen die Schwarzen. Der Trick an Stan Tohons Tchink System ist aber gerade, daß die Musik sich ausdrücklich als Mixtur versteht.
Als ich den geschafften Stan nach der Show frage, welche Stile in sein Sound-System einfließen, verweist er mich an den Schlagzeuger. Fanick Fangbedji ist der Rhythmusingenieur der Band, er arbeitet fieberhaft an der Verschmelzung traditioneller Voodoo-Zeremonien mit Rhythmen der Moderne. „Ich bringe den Rhythmus der Stadt mit dem des Dorfes zusammen.“
Der Versuch, den Sound der Städte, bei uns meist angloamerikanischer Pop, und die Trommeln der Savanne unter ein Dach zu bringen, scheitert live leider teilweise. Bei einem Reggae und einer Salsa-Variante klappt alles noch recht gut, bei anderen Titeln aber resultiert aus der heiklen Mischung ein unverständliches Soundchaos. Ein Grund dafür: Es fehlt eine Diskette für das Keyboard, auf der wichtige Tracks wie Bläserimitate abgespeichert sind. Beim Hören von Stan Tohons CD „Zemidjan!“ bemerkt man den Unterschied. Die Heimatklang-PA ist für das voluminöse T(c)hink-System scheinbar zu bescheiden.
Stan Tohon ist erst seit kurzem wieder in seiner Heimat Benin. 1988 ging er ins Exil, die regierenden Sozialisten hatten ein Lied über Krabben auf sich bezogen. Stans Song erzählte von einer Krabbe, die gerne reich sein wollte. Als die ersten freien Wahlen in Benin anstanden, schrieb Stan im Pariser Exil einen Song über „Demokratie und Mittelmäßigkeit“, in dem er die Gefahr beschreibt, „die Demokratie könnte nur als neues Gesicht für alte Zustände dienen“. Die neuen Machthaber forderten ihn trotzdem auf, zurückzukehren. Kaum hatte er in Benin wieder Fuß gefaßt, kritisierte er die Politiker schon wieder: In „Moto Taxi“ beschreibt er das Leben von jungen Arbeitslosen, die aus ihren Motorrädern Taxis gebastelt hatten. Die Regierung verbot die Taxis kurzerhand, obwohl sie großen Erfolg hatten. Stans Song wurde so populär, daß dieses Verbot zurückgezogen wurde.
Ein Lied verändert die Welt, in Afrika scheint dieser Traum noch zu funktionieren. Stan Tohon sollte hierbleiben und ein Lied über den bösen Waigel singen und den Kanzler mit einem Voodoo- Zauber verhexen. Vielleicht hätten wir dann auch mehr Demokratie und weniger Mittelmaß.
Stan Tohon & Le Tchink System. Umsonst & draußen, Freitag & Samstag 21.30 Uhr, Sonntag um 16.00 im Tempodrom, In den Zelten, Tiergarten.
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