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„Geiselhaft“ bei der Abschiebung

■ NRW knastet nur Familienväter ein / Flüchtlingsrat: Abschiebehaft wird immer häufiger angewandt

Düsseldorf (taz) – Der Flüchtlingsrat Nordrhein-Westfalen hat den Ausländerbehörden vorgeworfen, gegen abgelehnte Asylbewerber immer häufiger die Abschiebehaft zu beantragen. Wegen des Platzmangels in den Haftanstalten werde in der Regel nur das Familienoberhaupt inhaftiert. Diese von dem Düsseldorfer Justizministerium am Freitag gegenüber der taz bestätigte Praxis kritisierte der NRW-Flüchtlingsrat als „Geiselhaft“.

Margret Müller, Koordinatorin für Abschiebehaft und Hafthäuser beim Flüchtlingsrat, beklagte, daß mit der Inhaftierung des Familienoberhauptes die Flüchtlingsfamilien auseinandergerissen würden. Besuche bei den Inhaftierten seien nur begrenzt möglich. „Vielfach werden die Abschiebehäftlinge weit entfernt vom Aufenthaltsort ihrer Familien untergebracht, so daß schon eine Reise pro Monat kaum bezahlbar ist“, sagte die Vertreterin des Flüchtlingsrates. Zudem würde die gesetzlich garantierte Besuchszeit von monatlich einer Stunde in etlichen Haftanstalten wegen des Personalmangels in zweimal eine halbe Stunde aufgesplittet.

Demgegenüber erklärte ein Sprecher des Düsseldorfer Justizministeriums, bei der Inhaftierung des Oberhauptes abgelehnter Asylbewerber-Familien handele es sich um ein „Gebot der Humanität“. Falls sich eine Flüchtlingsfamilie der Abschiebung erkennbar widersetze, reiche es erfahrungsgemäß aus, lediglich das Familienoberhaupt in Abschiebehaft zu nehmen, weil die Ehefrauen mit den Kindern in der Regel nicht alleine untertauchten. Im übrigen sei es auch „eine Frage der Verhältnismäßigkeit“, in solchen Fällen nicht gleich ganze Familien in Abschiebehaft zu nehmen, erklärte der Sprecher des nordrhein-westfälischen Justizministers Rolf Krumsiek (SPD).

Nach Einschätzung des NRW- Flüchtlingsrates wird immer häufiger die Abschiebehaft gegen Flüchtlinge beantragt. Die zuständigen Amtsrichter folgten „in fast allen Fällen“ den Anträgen der Ausländerbehörden, „weil sie von dem Asylverfahren selbst nichts verstehen“, erklärte Flüchtlingsrats-Koordinatorin Müller.

Nach Angaben des NRW-Justizministeriums befinden sich im bevölkerungsreichsten Bundesland derzeit 591 abgelehnte Asylbewerber und illegal eingereiste Flüchtlinge in Abschiebehaft. In den kommenden Wochen soll die Kapazität auf über 1.000 Haftplätze in NRW erweitert werden. Die gegenwärtige Durchschnittsdauer der Abschiebehaft betrage 35 Tage. Dies sei vor allem auf Probleme bei der Beantragung der Einreisepapiere für das jeweilige Heimatland zurückzuführen. Viele Abschiebehäftlinge erhielten von den zuständigen Botschaften zunächst keine Paßpapiere, weil sie dort unter ihren „Aliasnamen“ nicht bekannt seien, erklärt der Krumsiek-Sprecher.

Die Anfragen der deutschen Behörden bei den jeweiligen Botschaften der ausgewiesenen Flüchtlinge ist beim Flüchtlingsrat auf scharfe Kritik gestoßen. „Damit ist die Inhaftierung vieler Flüchtlinge in ihren Heimatländern vorprogrammiert“, erklärte Margret Müller. Johannes Nitschmann

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