: Nicht frei von Hypokrisie
■ Betr.: Hurenfeindliches Bonn", taz vom 18.8.93
betr.: „Hurenfeindliches Bonn“, taz vom 18.8.93
Der von der Unionsmehrheit geführten Bundesregierung wäre zu raten gewesen, vor Abfassung ihres Berichtes zur rechtlichen Situation der Prostituierten einen Blick in den von ihrem Parteifreund Ruppert Scholz mitverfaßten Standardkommentar zum Grundgesetz zu werfen. Dort führt der ehemalige Verteidigungsminister, der über den Verdacht, von der Hurenbewegung gesponsort zu sein, erhaben sein dürfte, wie andere renommierte Verfassungsrechtler aus, daß die Prostitution einen Beruf im Sinne des Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes darstellen kann. Auch jedem Nichtjuristen dürfte eingänglich sein, daß eine grundrechtlich geschützte Tätigkeit nicht per se sittenwidrig sein darf.
An anderer Stelle, wenn es um die Erfüllung der ehelichen Pflichten geht, ist die in den Fachkommentaren immer noch zitierte (ältere) Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nicht ganz so zimperlich, wenn es um den Bereich der sexuellen Selbstbestimmung von Frauen geht. So hat es das höchste deutsche Zivilgericht seinerzeit nicht mal in Erwägung gezogen, es als menschenunwürdig anzusehen, wenn Frauen dazu verpflichtet sein sollen, den ihnen erwünschten ehelichen Verkehr nicht nur über sich ergehen zu lassen, sondern auch noch emotionale Beteiligung mimen müssen. Auch die Mietverträge, die die Prostituierten mit Bordellbetreibern schließen, sollen nicht grundsätzlich gegen die guten Sitten verstoßen, da diese der Prostitution „eine gewisse Ordnung“ verleihen und damit das Sündenbabel für den Staat besser überwachbar gestalten. Daß dort bekanntermaßen Mieten von 200 bis 300 DM täglich verlangt und bezahlt werden, scheint dann niemanden mehr in seinem sittlichen Empfinden zu tangieren.
Es bleibt zu hoffen, daß das Bundesverfassungsgericht, wenn es demnächst mit den Problemen der Prostitution befaßt sein wird, sich darauf besinnt, daß die Aufgabe der Grundrechte gerade darin besteht, die Minimalrechte von Minderheiten, die in ihrem Verhalten von gesellschaftlichen Normen abweichen, zu schützen. Es würde damit einen Beitrag zum Abbau der Diskriminierung und Versachlichung der schon vom Bundesgerichtshof als nicht frei von Hypokrisie (neudeutsch: Heuchelei) bezeichneten Behandlung des Phänomens Prositution leisten. Ulrich Leo, Köln
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