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Telekom zwingt zum Schnellsprechen

Drastische Gebührenerhöhungen ab April 1995 für Ortsgespräche durch Zeittaktverkürzung / Umsatz bei 54 Milliarden Mark / Waigel zapfte fünf Mrd. Gewinn ab /Bilanz bei plusminus Null  ■ Von Annette Jensen

Berlin (taz) – Für Quasselstrippen wird das Leben künftig teuer: Die Telefongebühren im Nahbereich sollen am 1. April 1995 angehoben werden. Zwar versuchte Dieter Gallist, Vorstandsmitglied bei der Telekom, die KundInnen damit zu beruhigen, daß „in der Summe über den gesamten Tagesablauf“ nicht mehr als 10 Prozent Gebührenerhöhungen anstünden. Aber wer in den Stoßzeiten zwischen 10 und 12 und zwischen 14 und 16 Uhr telefonieren will, den erwartet wahrscheinlich bald eine drei- bis viermal höhere Telefonrechnung als bisher.

Die Telekom hat Modellrechnungen erstellen lassen, die nicht die Verteuerung der einzelnen Einheit vorsehen, sondern einen extrem verkürzten Zeittakt. Künftig sollen nicht mehr sechs Minuten Ortsgespräch 23 Pfennig kosten, sondern schon nach eineinhalb oder zwei Minuten die Zähler weiterspringen, weiß Peter Paterna (SPD), Vorsitzender der Post und Telekommunikation. Ferngespräche hingegen sollen billiger werden, so daß die gesamten Gebühreneinnahmen der Telkekom letztendlich das gleiche Level behalten sollen wie bisher.

Grund für die Modeleien, die die durchschnittlichen PrivatkundInnen benachteiligen und große Betriebe bevorzugen, ist ein EG- Ministerratsbeschluß, der ab dem 1.Januar 1998 keine Telefonmonopole mehr zuläßt. Weil schon heute viele Telefongesellschaften im Ausland ihre Leistungen wesentlich billiger anbieten als die Telekom, würden die Deutschen spätestens dann vom Markt gefegt. Aber wenn die Gebühren an einer Stelle gesenkt werden, müssen sie woanders hochgesetzt werden, soll nicht ein Finanzloch entstehen. Der Ortsbereich wird der Telekom länger als Monopol erhalten bleiben, weil er für ausländische Anbieter wesentlich unattraktiver ist – hier können die KundInnen also nicht fremdgehen und somit ohne Gefahr zur Kasse gebeten werden. Die Telekom weist immer wieder darauf hin, daß der Nahbereich bisher defizitär, der Fernbereich dafür mit Gewinn arbeitet. „Die Grenze des Erträglichen ist erreicht, wenn im Ortsnetz kostendeckend gearbeitet werden kann“, meint Peter Paterna, der ansonsten nichts Grundsätzliches gegen die Pläne einzuwenden hat.

Aber weil die Telekom noch keine Aktiengesellschaft ist, darf sie derartige Entscheidungen nicht ohne den Postminister in Bonn treffen. Wolfgang Bötsch hatte offensichtlich Angst vor einem Proteststurm, und ließ deshalb die vor einigen Monaten bereits ruchbar gewordenen Pläne wieder in den Schubladen verschwinden. Bis zum Sommer wollte er selbst ein Rahmenkonzept vorlegen, das den Spielraum der Telekom für Gebührenerhöhungen festlegen sollte. Obwohl sich der Sommer dem Ende zuneigt, ist von dem Papier allerdings bisher noch nichts zu sehen.

Auch an anderer Stelle hat die Telekom Ärger mit der Regierung in Bonn: Sie schloß das letzte Geschäftsjahr exakt mit plusminus Null ab – und das, obwohl sie eigentlich sieben Milliarden Mark Gewinn erwirtschaftet hatte. Finanzminister Theo Waigel hatte sich mit fünf Milliarden aus der Kasse der Telefongesellschaft bedient; für die Unterstützung der notleidenden Telekom-Schwestern Postdienst und -bank ging nach Abzug der Steuern das restliche Geld drauf. Deshalb drängte der Vorstandsvorsitzende Helmut Ricke gestern nicht nur erneut auf die schnelle Umwandlung der Telekom in eine Aktiengesellschaft, so wie sie der interfraktionelle Arbeitskreis Anfang Juli bereits grundsätzlich beschlossen hatte. Vor allem dürfe die Holding, unter deren Dach die drei Postbetriebe künftig arbeiten sollen, möglichst wenig in die Geschäfte der Telekom hineinregieren dürfen, forderte der Telekomchef auf der gestrigen Bilanzpressekonferenz.

Mit 54 Milliarden Mark Umsatz ist die deutsche Telefongesellschaft das größte europäische Telekommunikationsunternehmen. Noch arbeiten etwa 230.000 Beamte und Angestellte dort; in ein paar Jahren sollen es 30.000 weniger sein. Und die Übriggebliebenen sollen mehr tun. „Zielsetzung ist eine Verdoppelung unserer Personalproduktivität in diesem Jahrzehnt bei einer gleichzeitigen Umsatzsteigerung auf rund 80 Milliarden Mark“, formulierte Ricke das Ziel.

Schon heute versucht die Telekom, durch Ausgliederung von Tochtergesellschaften flexibler zu werden und das Behördenkorsett abzustreifen. Nächstes Jahr sollen die Mobilfunkgesellschaft DeTeMobil und der Netzanbieter DeTeSystem ihre Arbeit aufnehmen. In beiden Bereichen hat die Telekom schon heute private Konkurrenz.

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