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Gekaufter Anschlag: Stolpe weckt den Staatsanwalt

■ Skandaldorf Dolgenbrodt: Behörden ermittelten seit drei Monaten vergeblich

Berlin (taz) – Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) verlangte gestern schnelle Aufklärung zum Fall Dolgenbrodt. Das Dorf südöstlich von Berlin steht im Verdacht, Rechtsradikale für den Brandanschlag auf das örtliche Asylbewerberheim mit 2.000 Mark Prämie bezahlt zu haben. Stolpe forderte die Staatsanwaltschaft Potsdam auf, den Brandanschlag umgehend zu klären. Tatsächlich haben die Justizbehörden den Fall offenbar wochenlang hängenlassen. Bereits seit über drei Monaten verfügen sie über Aussagen, die eine sofortige Ermittlung gegen Unbekannt nötig gemacht hätten. Der am 17. Mai festgenommene Tatverdächtige Silvio J., ein Rechtsradikaler aus Königs Wusterhausen, sagte aus, daß Dorfbewohner 2.000 Mark und logistische Unterstützung angeboten hatten. Die Tat selbst bestritt er. Auskünfte über den konkreten Stand der Ermittlungen wollte Oberstaatsanwalt Junker gestern nicht geben. Wie die taz berichtete, hatte Silvio J. mehrfach vergebens verlangt, mit dem Staatsanwalt zu sprechen. Er befindet sich seit Mitte Juli auf freiem Fuß. Am 19. Juni konnten sich fast 1.000 Skinheads unbehelligt von der Polizei zu einem Konzert im benachbarten Prieros treffen. Brandenburgs Innenminister Alwin Ziel (SPD) damals: „Rechtsradikale haben in Brandenburg keine Chance.“

Angesichts der neuen Vorwürfe zeigte sich Ziel gestern entsetzt: „Wenn sich der Verdacht gegen die Dorfbewohner bestätigte, täten sich Abgründe auf.“ Noch will er sich nicht vorstellen, „daß man dort zu solchen Dingen fähig wäre“. Ein SPD- Fraktionssprecher forderte: „Wenn die strafrechtliche Sache geklärt ist, muß man sich unbedingt darüber Gedanken machen, wie es zu solch einer Stimmung kommen kann. Die Politiker sind aufgefordert, darüber nachzudenken. Wenn sich der Verdacht bestätigt, daß Rechtsradikalismus zum Alltagssymptom wird, weiß man ja gar nicht mehr, wie man das bezeichnen soll.“

Die stellvertretende Landesvorsitzende der Brandenburger PDS, Gerlinde Schneider, zeigte sich ebenfalls betroffen: „Wir waren über die Zitate in der taz unangenehm berührt und wollen mit den Genossen vor Ort reden.“ Ein Parteimitglied der PDS, Hans-Jürgen Schwand, sitzt im Hauptausschuß von Dolgenbrodt. Schneider bedauerte, daß das im März beschlossene Konzept zur Inneren Sicherheit in der Schublade verschwunden sei, statt es umzusetzen. „In diesem Konzept war der Schutz von Ausländern durch Integration und verstärkte Aufklärung vorgesehen.“

Der Sprecher der CDU, Merten Johnson, erklärte: „Wenn das so zutrifft, steht es schlecht um die Innere Sicherheit des Landes.“ Für die FDP verlangte Alfred Pracht eine vollständige Aufklärung. Er warnt jedoch davor, das gesamte Dorf unter Tatverdacht zu stellen.

Der parteilose Landesjustizminister Hans-Otto Bräutigam erklärte, daß der Fall, sollte er sich bestätigen, ein „außerordentlich schwerwiegender Vorgang“ sei.

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