: Revenge
Van Peebles „Posse“, eine Wiedergeburt des Western im Geiste des HipHop ■ Von Manfred Riepe
Es gibt den klassischen Western („High Noon“), den Spätwestern („Der Mann, der Liberty Valance erschoß“) und den klassischen Spätwestern („The Wild Bunch“). Dann gibt es noch den Italowestern („Spiel mir das Lied vom Tod“), den politischen Western („Leichen pflastern seinen Weg“) und den John-Ford-Western („The Searchers“). Schließlich gibt es den Indianerwestern („Little Big Man“), nicht zu vergessen den überschätzten Western („Der mit dem Wolf tanzt“) und neuerdings den postmodernen Western („Silverado“, „Young Guns“).
„Posse“ hat von jedem der aufgezählten etwas. Darüber hinaus hat er das gewisse Etwas, das keiner der genannten hat. Von den sogenannten „Race-movies“ der dreißiger Jahre abgesehen, gibt es in der Geschichte des Genres keinen stilbildenden schwarzen Western. Das ist einerseits erstaunlich, weil jeder dritte Cowboy im Wilden Westen einer derjenigen war, um deren Befreiung von der Sklaverei Abraham Lincoln angeblich einen blutigen Krieg gegen die Südstaaten gerechtfertigt hatte.
Daß der schwarze Gunfighter trotzdem aus dem Western ausgeblendet wurde, und zwar noch nachhaltiger als der Indianer, ist andererseits gar nicht so erstaunlich. Denn im Western schuf das geschichtslos junge Land USA sich einen Gründungsmythos: Gemäß der glorifizierten Durchhalteparole hat der weiße Mann alles mit seinen eigenen Händen aufgebaut. Der klassische Revolverheld ist ein edler Wilder, dessen idealisiertes Gesetz des Stärkeren bruchlos das Gesetz der aufkeimenden Zivilisation in sich trägt. Deswegen ist jeder (der einen Colt trägt) sein eigener Herr und niemandem etwas schuldig. Der klassische Western zelebriert die Reinwaschung von jeder Schuld, auch gegenüber jenen Schwarzen, die ein Jahrhundert lang auf den Baumwollplantagen ausgebeutet wurden.
Erst die Spätwestern, etwa von John Ford, Sergio Corbucci und Michael Cimino, machten unmißverständlich klar, daß der Revolverheld nichts Verehrungswürdiges an sich hat: Weil er entweder immer schon im Sold der Viehbarone stand oder – wie in „Heavens Gate“ und „Leichen pflastern seinen Weg“ – im Auftrag der Regierung Kopfgelder kassiert und für ethnische Säuberung sorgt.
Aber so naheliegend die Idee ist, einen schwarzen Western drehte bislang keiner. Bis auf Mario Van Peebles. Was die Motivpalette des Genres anbelangt, so hat der 1958 geborene Schauspieler (unter anderem „The Cotton Club“) und Regisseur („New Jack City“) seine Hausaufgaben gemacht. Witziges Detail: Wie der landläufige Western nicht selten seinen „Alibi-Schwarzen“ einsetzt (zumeist Sidney Poitier), so läßt Van Peebles einen Alibi-Weißen an der Seite der Posse kämpfen: Little J. Der sadistische Mord an dem sympathischen Messerwerfer schweißt die Gang der schwarzen Schützen erst richtig zusammen. Die Figur des Jesse Lee entspricht dem noch ungebrochenen Heroenbild vor dem Spätwestern. Der Plot von „Posse“ ist eine klare Revenge-Geschichte. So kann Van Peebles die historische Wahrheit ganz simpel auf seiner Seite kämpfen lassen. Das verleiht seinem Film eine unverschämt sympathische Souveränität, denn er verwendet einfach die rassistischen Schablonen des Western, um die Unterdrückung sowohl der schwarzen wie auch der weißen Siedler im Land der begrenzten Möglichkeiten in Szene zu setzen.
Jesse Lees Vater King David, so die Vorgeschichte, war Wortführer einer Gruppe von Siedlern, die eine freie schwarze Stadt, „Freemanville“, aufbauen wollten. Wie in „Spiel mir das Lied vom Tod“ werden die Freiheitspläne durch den bevorstehenden Eisenbahnbau, der „Freemanville“ zu einem lukrativen Flecken Erde macht, jäh beendet. An der Spitze eines Ku-Klux-Klan-Lynchmobs tötet Sheriff Bates (Richard Jordan) King David, um sich „Freemanville“ Stück für Stück anzueignen. Nur Jesse ist ihm entkommen ...
Jahre später setzt die Handlung ein. Jesse, mittlerweile schnellster Schütze weit und breit, nimmt auf Kuba im Spanisch-Amerikanischen Krieg an einem Himmelfahrtskommando teil. Als er bei der geplanten Übergabe einer erbeuteten Goldkiste merkt, daß er nur Werkzeug in den Händen seines Vorgesetzten, Colonel Graham (Billy Zane), ist, kommt es zur Revolte. Zur Desertion gezwungen, setzt Jesse sich an die Spitze einer zunächst fünfköpfigen „Posse“. Vom tiefen Süden der Vereinigten Staaten geht es 700 Meilen westwärts, durch die typischen Westernlandschaften. Leichen pflastern den Weg der Posse, als sie durch John-Ford-Land zieht.
Irgendeiner wartet immer. Am Ende von „Posse“ sogar zwei. Colonel Graham, Jesse hart auf den Fersen, verbündet sich mit Bates gegen den schwarzen Racheengel. Shootdown in Peckinpah-Zeitlupe: Die Kamera folgt dem Flug von Jesses goldener Rachekugel bis in das Herz des Oberschurken Bates. Die Dramaturgie, die diese rasante Zitatenfolge lose zusammenhält, ist nicht selten langsamer als Jesse, wenn er den Revolver zieht.
Ehe man kapiert, worum es geht, ist der Schuß längst gefallen. Nicht vom Erzählen, sondern vom abrupten Zeigen lebt der Film. Von rasanten Schwenks und Fahrten unablässig vorangepeitschte Bilddynamik sowie der hemmungslose Pathos, mit dem Van Peebles sich selbst vor Sonnenuntergängen auf seinem silberbeschlagenen Pferd herausstellt, erinnern streckenweise mehr an einen Videoclip als an einen Spielfilm.
Doch das ist die Art, wie der Regisseur den Stoff in Besitz nimmt. Bereits der Titel zeigt die Fusion von Westernmythos und zeitgenössischer „Blaxploitation“ an. Die sogenannte Posse (eigentlich das Aufgebot, das dem Sheriff bei der Verfolgung flüchtiger Gangster hilft) ist im zeitgenösischen Slang eine schwarze Gang von Musikern. Folglich macht in „Posse“ der Ton die Musik: Ein sattes, dumpfes, echoloses „blam“ aus den Läufen ausgiebig in Szene gesetzter, chromglänzender Trommelrevolver. Die Melodie ist etwas eintönig, aber der Rhythmus stimmt. Entgegen der modischen Anti-Gewalt-Debatte ist „Posse“ kein bleifreier Film.
Was „Posse“ vor postmodernen Western wie „Young Guns“ auszeichnet, ist, daß das Genre nicht nur durch ein neues Design aufgekocht wird. „Posse“ beginnt und endet mit einem Erzähler (Woody Strode, der in „Spiel mir das Lied vom Tod“ cool das Wasser aus der Hutkrempe trinkt). Ein klassisches Motiv, das schon Ford in „Der Mann, der Liberty Valance erschoß“ einsetzte. Im Gegensatz zu Ford, der uns so aufklärt, „wie es wirklich war“, was Mythos und was Realität ist, begnügt sich Van Peebles nicht mit bloßem Revisionismus. Er setzt noch einen drauf: Jesse Lee war der allerschnellste. Da kommt Freude auf.
„Posse“: Regie: Mario Van Peebles. Kamera: Peter Menzies. Mit: Mario Van Peebles, Stephen Baldwin, Big Daddy Kane. USA 1993, 107 Min.
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