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Tränengasangriff auf Spielplatz

Dänemarks Polizei will Klein-Dealer aus Christiania vertreiben / Tägliche Patrouillen in Kampfanzügen / Der Erfolg: Haschisch ist jetzt überall in der Hauptstadt zu haben  ■ Aus Kopenhagen Niels Rohleder

Ida (3 Jahre), ihr kleiner Bruder Leo (1) und Freund Adam (2) spielten am 7. August auf ihrem Spielplatz im Stadtteil Christianshavn in der dänischen Hauptstadt, als eine Tränengas-Handgranate über den Bretterzaun geflogen kam. Die Reizgaswolke hüllte die drei Kleinkinder ein. Sie niesten und husteten, bis ihnen der Schleim aus Mund und Nase trat.

Für Preben Dam Kristensen, Vater von Ida und Leo, ist die Polizeiattacke auf den Spielplatz nichts Neues. „Es ist das fünfte Mal seit einem Jahr, daß der Spielplatz mit Tränengas angegriffen wird“, sagte er jüngst der dänischen Tageszeitung Politiken.

Preben Dam Kristensen und seine beiden Kinder müssen sich einiges gefallen lassen. Sie wohnen in der freien Stadt (nicht „Freistaat“, wie die dänische Bezeichnung „fristad“ oft fälschlicherweise ins Deutsche übersetzt wird) Christiania).

Bürgerrechte außer Kraft gesetzt

Seit dem Herbst 1992 sind scheinbar alle Bürgerrechte außer Kraft. Die Polizei probt den totalen Krieg gegen Haschverkäufer. Das ehemalige Kasernengelände in der Innenstadt von Kopenhagen ist seit September 1971 von Leuten mit einem ausgeprägt alternativen Lebensstil besetzt.

Die ersten Bewohner waren ausgeflippte 68er – wovon einige immer noch auf Christiania wohnen. Hinzu kamen alle möglichen Unangepaßten, die sich in der dänischen Gesellschaft nicht zurechtfanden: Kinder, die von zu Hause wegliefen, PennerInnen, HausbesetzerInnen und auffallend viele GrönländerInnen.

Auf Christiania wohnen aber auch etablierte DänInnen, die einer normalen Arbeit in der Großstadt nachgehen – und bloß ein bißchen alternativ wohnen wollen.

Die ChristianitInnen haben es in den fast 22 Jahren durchaus vermocht, Recht in den eigenen Reihen durchzusetzen. Das bekannteste Beispiel ist die 1979er Junk- Blockade: Alle harten Drogen wurden aus Christiania verbannt, alle Hart-Drogen-DealerInnen gezwungen, sich einen anderen Markt zu suchen. Seitdem wird auf Christiania (fast) nur Haschisch verkauft.

Das etablierte Dänemark hatte sich mit dem alternativen Milieu versöhnt. Alles lief auf eine Normalisierung hinaus. Die Verträge zwischen dem Verteidigungsministerium, dem das Gebiet gehört, und den BewohnerInnen waren unterzeichnet.

Kopenhagens Polizeipräsident Poul Eefsen und seine Stellvertreterin Annemette Møller – beides ausgemachte Hardliner und nicht erst seit den wilden Polizeischüssen in die Demonstration in der Mainacht nach dem Maastricht- Referendum berüchtigt – erklärten im Spätsommer 1992 scheinbar auf eigene Faust dem Haschverkauf den Krieg. Die Polizei rückte ein und patrouilliert seitdem täglich in Kampfanzügen.

Bis letzten Sommer galt auf Christiania informell eine „Amsterdam-Regelung“. Der Haschverkauf wurde geduldet, die PolizistInnen ließen die VerkäuferInnen in Ruhe. Seit einem Jahr finden jede Woche Hausdurchsuchungen – jeden Monat Straßenkämpfe – statt. Die Polizei greift hart durch und setzt Mittel ein, die anderswo in Kopenhagen nicht verwendet werden.

Bei einer Razzia am 2. Juli umzingelten mit Maschinenpistolen bewaffnete PolizistInnen in kugelsicheren Westen ein Haus, das nach Waffen und Hasch durchsucht wurde. Die Beute der Polizei: drei Jagdflinten (die Bewohner behaupten, zwei davon seien legal), ein Luftgewehr, 151 Patronen, 1.700 bis 1.800 Knallkörper, zwei Rauchbomben und 130.000 Kronen (etwas über 30.000 DM) in bar.

Vizepolizeiinspekteur Henning Aasberg – Chef der „Christiania-Gruppe“ der Kopenhagener Polizei – begründete gegenüber der Zeitung Information die Bewaffnung damit, daß die Polizei Drohungen aus der Hasch-Dealer- Szene erhalten habe.

Christianit Kenneth Hinze, der in dem durchsuchten Haus wohnt, sagte, er habe zwar ein paar PolizistInnen „Vergeßt nicht, daß wir zwei Flinten in unserem Haus haben“ zugerufen. Das sei aber nicht als Drohung gemeint gewesen. „Das war eine reine Information“, sagt er und fügt hinzu: „Die Bullen haben gedroht, mir das Genick zu brechen.“

Am 26. September kann die freie Stadt Christiania ihren 22. Geburtstag feiern. Die Razzien und Straßenkämpfe gehen weiter. Die Polizei hat schon längst die ersten Ergebnisse registriert. Schon im April wies der stellvertretende Leiter des Drogeninformationsbüros der dänischen Reichspolizei, Kriminalkommissar Mogens Bruhn, darauf hin, daß der Haschhandel in Kopenhagen sich erstmals seit zwanzig Jahren nicht auf Christiania konzentriert: Der Stoff ist jetzt überall in der dänischen Hauptstadt zu haben – in Taxen, Cafés, Kneipen, Jugendzentren und einigen Läden. Das Geschäft blüht wie nie zuvor.

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